Auf unserer Reise durch die Weltgeschichte haben wir mit dem Urknall begonnen, staunend die Entstehung des Lebens und die Entwicklung des Menschen beobachtet und sind über Mesopotamien und Ägypten in die Zeit der historischen Geschichtserzählung eingestiegen. Danach wir uns mit der griechischen Antike beschäftigt und sind mit Alexander bis nach Indien gezogen. Die Geschichte des Römischen Reichs hat uns lange beschäftigt. Das Ende des Weströmischen Reiches haben wir im Rahmen der sogenannten Völkerwanderung erlebt und schauen im Folgenden auf die Geschichte des Oströmischen Reiches, später auch das Byzantinische genannt.
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Der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft ist eine Illusion, wenn auch eine sehr hartnäckige.
Albert Einstein
Für die Armen
Wie schaffte es ein Wanderprediger aus der Provinz, eine Weltreligion zu begründen? Die Antwort ist im Kern einfach: Jesu Botschaften richteten sich an die einfachen und armen Leute. Diese lebten zumeist auf dem Land und erlebten sowohl die Römer als auch insbesondere die orthodoxen Pharisäer als arrogante Unterdrücker. Die Lehre von Nächstenliebe und dass vor Gott alle Menschen gleich seien, dass Gott auch und gerade die Armen und Bedürftigen liebe, gab ihnen ein neues Selbstbewusstsein. Die herrschende Klasse – wenn ich diesen Begriff einmal ungeschützt verwenden darf – sah darin natürlich eine klare Bedrohung ihrer Autorität und ihrer privilegierten Machtstellung.
Wer hat recht?
In der Zeit nach der Kreuzigung entstanden eine Reihe von Gruppen, die jede für sich überzeugt war, die wahre Lehre Jesu verstanden zu haben.
Stephanus war es dann, der in den ersten Konflikt zwischen Jesusanhängern und der Staatsmacht geriet. Er wurde als erster Märtyrer im Jahr 36 oder 40 gesteinigt und getötet. Auch Jakobus wurde hingerichtet, allerdings erst im Jahr 62. Er war kein Opfer der Römer, sondern der Hohepriester, die eine Abwesenheit des Statthalters ausnutzten, um den missliebigen Konkurrenten auszuschalten.
Antiochia als Kristallisationspunkt
Viele Anhänger Jesu waren aus Jerusalem nach Antiochia geflohen, das in dem heutigen Zipfel der Türkei liegt, der von Kleinasien in die Levante hineinragt. Damals war es die drittgrößte Stadt des Römischen Reiches und damit ein guter Ort zum Untertauchen, aber auch um die eigenen Geschichten weiterzuerzählen.
Auch die Bezeichnung als Christen stammt aus Antiochia. Christos ist die griechische Übersetzung des hebräischen Begriffs für Messias. Die deutsche Übersetzung ist »der Gesalbte«. Sie selbst sahen sich als Auserwählte, die den Heiligen Geist empfangen hatten, und nannten sich auch so.
Paulus reist
Im Jahr 39 oder 40 kam auch Paulus von Tarsus nach Antiochia. Ursprünglich ein Christenverfolger war er mittlerweile bekehrt, nach eigener Aussage durch Jesus persönlich. Das »Damaskus-Erlebnis«, das einen Saulus in einen Paulus wandelt, kennen wir heute noch als Synonym für einen plötzlichen Sinneswandels zum Besseren. Paulus sollte in den kommenden Jahren vorwiegend durch Kleinasien und Griechenland reisen, Menschen bekehren, Gemeinden aufbauen und Briefe schreiben. Diese finden wir als wesentlichen Teil im Neuen Testament. Anfang der 60er Jahre verliert sich seine Spur in Rom, wohin er als unter Anklage stehender Unruhestifter verbracht worden war. Wir befürchten das Schlimmste.
Beschneidung?
In Antiochia kam es zu einem Konflikt zwischen Paulus und Simon Petrus, dem ersten Jünger Jesu. Sie stritten sich darüber, ob man nur als Jude Mitglied der christlichen Gemeinden werden könne. Konkret: Musste man – als sichtbares Zeichen – also beschnitten sein?
Während Petrus der auch von Jakobus vertretenen Ansicht folgte, mit den sogenannten Heidenchristen keine Tischgemeinschaft zu pflegen, sah Paulus diese als den Judenchristen absolut gleichberechtigte Gemeindemitglieder. (Allein) durch den Glauben und nicht durch die Befolgung irgendwelcher Gesetze komme die Verbindung zwischen Gott und dem Menschen zustande. Es musste also niemand beschnitten sein und auch der jüdische Glaube war keine Voraussetzung, um ein vollwertiges Mitglied der christlichen Gemeinde zu sein. Das sola fide, auf das sich ja auch Martin Luther (1483 bis 1546) als ein Kernpunkt der Reformation beruft, stammt also aus dem Römerbrief des Paulus? Etwas schwierig wird die Argumentation, da das Wort "Allein" von Luther eingefügt wurde. Wie auch immer. Dass Paulus sich in diesem Streit gegen Petrus und Jakobus durchsetzte, zeigt sein Charisma.
Erfolg hatten Paulus und seine Gefährten insbesondere bei den Menschen, die die Idee des Monotheismus durchaus überzeugte, die aber die jüdische Tradition der Beschneidung ablehnten. Diese ließen sich nun christlich taufen. Die Ablehnung der Beschneidung bildete eine wichtige Motivation für die Bildung der ersten christlichen Gemeinden in den Städten des Reiches. Manchmal sind es eben auch bei großen Themen die eher profanen Dinge, die den Ausschlag geben.
Aus der ärmlich, ländlich geprägten Anhängerschar Jesu wurde immer mehr eine städtische Gemeinschaft, die jeden, der sich zu ihrem Glauben bekannte, taufte und aufnahm. Neben dem Heilsversprechen und den begeisternden Erzählungen der Urchristen war für viele sicherlich auch die dort gepflegte Gemeinschaft, das Zusammenstehen in Notlagen ein wichtiger Grund, sich taufen zu lassen.
Trennung vom Judentum
Paulus' Energie war für die weitere Entwicklung des Christentums als eigenständige Religion und eben nicht als jüdische Sekte von essentieller Bedeutung. Die Judenchristen saßen nun zwischen den Stühlen. Mit der Zeit starb ihr Gedankengut der Einheit zwischen jüdischen Gesetzen und christlicher Erlösung ganz aus. Ohne Paulus hätte es also das Christentum, wie wir es kennen, nicht gegeben.
Dieses entwickelte sich weiter und emanzipierte sich zunehmend von der jüdischen Lehre. Die Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch Titus im Jahr 70 war für die Juden eine Katastrophe, für die Christen ein Zeichen, dass es Gott eben nicht auf die Befolgung der Gesetze ankam, für die der Tempel das Symbol war. Unterschiedliche Interpretationen, die das Miteinander nicht zwingend erleichterten.
Auch wenn er sich mit dem grundsätzlichen Konzept der Heidenmission gegen Petrus und Jakobus durchsetzte, hatte Paulus auf seinen Missionsreisen am ehesten in den jüdischen Gemeinden der Diaspora Erfolg. Wie schon bei Jesus selbst waren es vor allem die unteren Schichten in den Städten, die mit der von ihm verkündeten Heilslehre und insbesondere mit dem real praktizierten Konzept der Nächstenliebe etwas anfangen konnten und christliche Gemeinden gründeten.
Die Kirche organisiert sich
Diese Gemeinden waren hierarchisch aufgebaut. An der Spitze stand der Episkopus, wörtlich: Aufseher, später: Bischof, als Wortführer und Repräsentant. Daneben gab es einen Gemeinderat aus Presbytern (Ehrwürdige, Ältere) und Diakone und Diakonissen, die die Gemeindearbeit verrichteten, sich dabei insbesondere um die Armen- und Krankenpflege kümmerten. Nachdem sich die ursprünglich sehr zeitnah erwartete Wiederkunft Jesu immer mehr verzögerte, entwickelte sich aus dieser Struktur sukzessive die einer übergreifenden christlichen Kirche.
Staat und Kirche
Rom ließ die Christen zunächst wie alle anderen Religionen im Imperium gewähren. Wichtig war allein, dass es keine Bewegung gegen Kaiser und Reich wurde. Hier machten sich die Christen jedoch durch ihr Verhalten angreifbar. Sie verweigerten häufig die geforderte kultische Verehrung des Kaisers als gottgleiches Wesen, das erste Gebot verbot dies ja ausdrücklich! Sie lebten zudem in ihren Gemeinden relativ abgeschlossen vom sonstigen gesellschaftlichen Leben.
Dies alles machte sie zu perfekten Sündenböcken. Nero identifizierte sie beispielsweise im Jahr 64 als die Schuldigen für den Brand Roms. Grundsätzlich hatten die hin und wieder aufflammenden Christenverfolgungen ihre Ursache häufig in der wenig kompromissfähigen Haltung der neuen Gemeinden. Der römische Staatskult gab vielen Arbeit. Maurer bauten Tempel, Bildhauer schufen Götterstatuen und von den vielen Feierlichkeiten zu Ehren der Götter und des Kaisers lebten Gastronomen, Hoteliers und viele mehr. Diese Leute waren wenig erfreut, wenn die neuen Gemeinden all das ablehnten.
Das Christentum verbreitete sich zunächst im Osten, dann über getaufte Soldaten bis an alle Grenzen des Reiches. Mit den zunehmenden Angriffen durch die germanischen Stämme, die das Reich immer wieder in Krisen stürzte, veränderte sich zunehmend auch die Haltung der Christen zum Staat. Es waren eben auch nur Menschen und ihnen war ihre persönliche Sicherheit im Römischen Reich schon wichtig, universales Heilsversprechen hin oder her. War der Erfolg des römischen Kaisertums nicht auch ein Zeichen, dass Gott eher wohlgefällig auf das Imperium schaute?
Diese Erzählung hielt jedoch nur einige Zeit durch. Christliche Missionare wirkten ja auch außerhalb der Grenzen des Römischen Reiches und dort konnte man die Überlegenheit des christlichen Glaubens schwerlich über den politischen Erfolg der Römer argumentieren. Als beispielsweise Alarich 410 Rom plünderte, waren er und seine Soldaten christlich getauft und glaubten Gott auf ihrer Seite.
Erste Häresien
Die Verunsicherung der christlichen Gemeinden begann jedoch viel früher. Es überrascht nicht, dass sich mit zunehmender Verbreitung unterschiedliche Interpretationen entwickelten, was denn nun mit der Lehre von Jesus eigentlich gemeint sei. Im 2. Jahrhundert bildeten sich Lehren heraus, die die Einheit von Gott, Jesus und dem Heiligen Geist in Frage stellten. Selbst wenn wir wollten, könnten wir die unterschiedlichen Gedankenwelten dieser Gnostiker, Montanisten und Marcionier genannten Gruppen hier nicht in hinreichender Tiefe darstellen. Auch wenn mein Onkel evangelischer Pfarrer war und in der österreichischen Diaspora Karriere gemacht hat, sind meine theologischen Grundkenntnisse doch eher beschränkt. Eine kurze Charakteristik muss also bei aller Gefahr der Ungenauigkeit und der Fehleranfälligkeit reichen.
Gnostiker: Geheimwissen für Eingeweihte
Gnostiker entwickelten ein sehr komplexes dualistisches Weltbild: Sie unterschieden zwischen dem Schöpfergott des Alten Testamentes, den sie als zweitrangigen Demiurg betrachteten, und einem höherstehenden vollkommenen Gott. Aus dessen rein geistiger Sphäre fallen dann göttliche Samen in die böse materielle Welt. Diese sind in jedem Menschen vorhanden und können durch Erkenntnis, die Gnosis, gefunden werden. Jesus war eine Verkörperung dieses transzendenten, vollkommenen Gottes, der den Menschen den Weg zu dieser Erkenntnis eröffnen sollte. Die Gnostiker sahen sich exklusiv im Besitz dieses "Geheimwissens" um die transzendente göttliche Welt und grenzten sich damit deutlich vom Judentum ab, dessen Gott lediglich als nachrangiger Schöpfergott betrachtet wird. Wie diese Götterhierarchie zum ersten Gebot passt, wollen wir jetzt nicht diskutieren.
Montanisten: Frauen an die Macht
Eine zweite Bewegung, die sich aus den christlichen Gemeinden entwickelte, war der Montanismus. Benannt nach einem Herrn Montanus (gest. vor 179) aus Phrygien war es eine stark von Frauen geprägte Glaubensrichtung, die weite Verbreitung fand. Montanus behauptete um 156, dass er mit dem Heiligen Geist sprechen könne. Seine Lehre war recht simpel: Jesus würde sehr bald wieder auf die Erde zurückkommen und daher sei eine kirchliche Organisation des Christentums überhaupt nicht notwendig.
Er, Montanus, sei der Paraklet, der den Jüngern im Johannesevangelium als von Jesus Christus gesendeter Tröster versprochen wird. Begleitet von den Damen Maximilla (gest. vermutlich 197) und Priscilla (gest. nach 197) reiste er durch Kleinasien und verbreitete seine Lehre. Bald fanden sich auch in Städten wie Rom oder Karthago Montanisten, vielleicht auch, weil sie Frauen die Priesterweihe ermöglichten. Eine revolutionäre Idee – für einige ja auch noch heute.
Die Forderung nach einem asketischen Leben mit verschärftem Fasten, Schlafentzug und Verzicht auf Ehe und Sex war allerdings nicht für jeden die wahre Verkörperung einer Heilslehre. Es gab – und gibt – jedoch immer genug Menschen, die sich durch die Einhaltung entsprechender Forderungen als Auserwählte fühlen und sich um so mehr einer solchen Lehre verschreiben.
Sicherlich war dies eine Reaktion auf die zunehmende Verfasstheit und Weltlichkeit der sich herausbildenden Kirche, die sich entsprechend wehrte. Zwar gab es auch bei den Bischöfen Sympathisanten, jedoch verurteilte bereits 177 eine Synode der kleinasiatischen Bischöfe die Lehre von Montanus als Häresie. Verschwunden war sie damit noch nicht, einer der wichtigen frühen Kirchenväter, Quintus Septimius Florens Tertullian (vor 150 bis nach 220) sympathisierte relativ offen mit ihr. Reste hielten sich sogar bis ins 9. Jahrhundert.
Marcionier: Zwei Götter, ein Problem
Noch mehr Schwierigkeiten bereitete Marcion von Sinope (nach 85 bis um 160) der entstehenden christlichen Kirche. Wie die Gnostiker dachte er in strikten Gegensätzen von Gut und Böse: Der rachsüchtige, zornige Gott des Alten Testaments sei etwas völlig anderes als der barmherzige, liebende Gott, der Jesus mit der Botschaft der Nächstenliebe auf die Welt geschickt habe.
Ebenso wie Montanus predigte Marcion Enthaltsamkeit, die Familie hatte keinen Wert, nur dem auf Christus ausgerichteten asketischen Leben maß er Bedeutung zu. Klingt irgendwie nicht nach Liebe als grundlegendem Prinzip des Miteinander. Dabei ging er sehr radikal vor: Er verwarf das gesamte Alte Testament und akzeptierte aus den Neuen Testament nur das Lukasevangelium und die Paulusbriefe, und diese auch nur in stark bearbeiteter Form. Alles, was seiner Meinung nach zu jüdisch klang, flog raus.
Marcion hatte lange großen Zulauf, konnte sich am Ende aber nicht durchsetzen. Neben den selbstzerstörerischen Zügen, dass Ehen und jegliche familiären Gemeinschaften abgelehnt wurden, wandten sich auch viele Bischöfe und Gemeinden gegen ihn. Neben dem bereits genannten Tertullian wollen wir noch Irenäus (um 135 bis um 200) nennen. Der Bischof von Lyon wandte sich in seine Schriften gegen die Lehre Marcions und wollte »das schlecht zurechtgemacht Körperchen dieses Füchsleins« aus seinem Bau treiben. Wer regt sich eigentlich über den Tonfall in den heutigen Sozialen Medien auf?
Positive Effekte
Auch wenn sich Gnostiker, Montanisten und Marcionier nicht durchsetzen konnten, sorgten sie mittelbar doch dafür, dass sich die »orthodoxe« Kirche in der Abwehr dieser Häresien immer weiter zusammenfand und verfestigte, ja sich letztlich als übergreifendes Institut aus der Vielzahl der Gemeinden herausbildete.
Damit ist jedoch nicht gesagt, dass nach Überwindung dieser Lehren nicht weitere aufs Tapet kamen. Wir wollen es mit einzelnen Beschreibungen jedoch nicht weiter treiben und uns auf die wesentlichen konzentrieren, von denen wir im Zuge unserer bisherigen Erzählung auch schon gehört haben. Wir orientieren uns dabei an den Konzilen, auf denen diese Themen diskutiert und mehr oder weniger erfolgreich geeint wurden. Im ersten Jahrtausend gab es davon sieben, die wir aber nicht alle durchgehen wollen. Auf die wichtigsten schauen wir das nächste Mal.
Nun freilich starren Sinnes zu behaupten, dass das, was ich gesprochen habe, auch unbedingte Wahrheit sei, das schickt sich nicht für einen, der zu denken pflegt.
Platon