Wir wollen uns das Leben ja nicht unnötig schwer machen und werden daher die Besiedlung der Erde durch den Homo sapiens nur in einigen groben Schritten zusammenfassen. Vieles, was wir wissen, leitet sich aus der Rückrechnung von Genanalysen existierender Populationen und den wenigen Fossilien ab, die die Jahrzehntausende überdauert haben, und die dann auch gefunden wurden. So sind die geschilderten Zeiträume Mutmaßungen und plausible Ableitungen, die sich durch jeden einzelnen neuen Fund immer wieder gravierend verändern können.
Gründe für die Wanderungsbewegungen, mit denen Homo sapiens schließlich den ganzen Erdball eroberte, waren wohl der lebenserhaltende Drang der Jäger und Sammler, ihren Beutetieren zu folgen und Gegenden mit höherer Fruchtbarkeit zu suchen. Allgemeine, aber auch lokale Klimaveränderungen veränderten Flora und Fauna und der Mensch reagierte flexibel. Zudem entwickelte er seine Fähigkeiten. Neue Waffen und Technologien erhöhten die Erträge. Mehr Menschen konnten ernährt werden, die Bevölkerungszahl stieg und benötigte mehr Platz.
Vor 150.000 Jahren war der gesamte afrikanische Kontinent erobert, dann ging es wie gesehen vor 120.000 Jahren versuchsweise gen Osten und vor 70 bis 50.000 Jahren nach Norden, zunächst nach Kleinasien. Europa und Australien – über das Meer! – wurden zeitgleich vor 60.000 bis 45.000 Jahren erreicht - wenn wir bei dieser Zeitspanne von "zeitgleich" sprechen wollen. Auf jeden Fall taten sich unsere Ahnen mit dem räumlich ja eigentlich naheliegenden Europa ein wenig schwerer. Vielleicht war es dort rein eiszeittechnisch noch etwas zu fröstelig. Wir stammen also vielleicht von Warmduschern ab.
Europa
Die Geschichte der Ausbreitung des modernen Menschen liest sich insgesamt relativ zackig, aber es waren schon sehr lange Zeiträume. Bis ganz Europa "erobert" war, dauerte es 25.000 Jahre. Zum Vergleich: Die Cheops-Pyramide ist etwa 4.600 Jahre alt, die Zeitspanne seither beträgt also lediglich ein Fünftel dieser 25.000 Jahre und wir werden noch sehr viele Blog-Folgen benötigen, um zu beschreiben, was in diesen knapp 5.000 Jahren so alles passiert ist.
Aber wenn man Zeit hat und die Dinge ordentlich macht, dann schafft man auch mit einer Geschwindigkeit von zwei Kilometern im Jahr in 5.000 Jahren 10.000 Kilometer – das ist etwa die Fahrstrecke zwischen Peking oder Daressalam in Tansania nach Hamburg, Luftlinie sind es jeweils nur etwa 7.500 Kilometer. Die Routenplaner im Internet bieten hier von Afrika einen Fußmarsch von gut 2.000 Stunden. Auch wenn wir uns nicht zu den Extremwanderern zählen, trauen wir uns schon zu, diese Strecke in weniger als 5.000 Jahren zu schaffen. Wobei die Gefahr, es gar nicht zu schaffen und irgendwo zwischen Jordanien und der Türkei aus welchen Gründen auch immer das Unternehmen final beenden zu müssen, ja auch nicht so ganz klein ist.
Die Besiedlung Europas erfolgte also durchaus schwerfällig. Wir erinnern uns, dass die Weichsel- bzw. Würmeiszeit ja erst vor 11.700 Jahren zu Ende ging. Ob es jetzt Einwanderungswellen gab, oder der moderne Mensch vor 45.000 Jahren Europa besiedelte und dort blieb, dazu gibt es unterschiedliche Thesen. Zumindest gibt es Funde aus der Ilsenhöhle unterhalb der Burg Ranis im thüringischen Orlatal, die die Existenz des Homo sapiens nachweisen und die auf ein Alter von 45.000 Jahren geschätzt werden. Aus DNA-Analysen konnte man aber auch ableiten, dass diese Menschen keine Spuren im Genom der heutigen Menschheit hinterlassen haben. Klar ist auf jeden Fall, dass die Bevölkerungsanzahl entsprechend der Klimaentwicklung schwankte, also zum Höhepunkt der Eiszeit vor 25.000 Jahren zurückging und dann im Laufe der Erwärmung wieder anstieg.
Australien
Viel bewunderungswürdiger als der Weg nach Europa, der ja weitestgehend über den Landweg erfolgen konnte, war die Besiedlung Australiens. Hier waren mindestens 80 Kilometer Meer zu überwinden, auch für geübte Schwimmer eher schwierig. Die bekanntesten Funde – Mungo Man und Mungo Lady in New South Wales – sind etwa 40.000 Jahre alt, mittlerweile gibt es in Nauwalabila im Norden Fossilien, die auf ein Alter von bis zu 60.000 Jahren geschätzt werden. Australien wurde also sehr früh vom Homo sapiens erreicht. Zu dieser Zeit war der Kontinent zwar unter dem Namen Sahul mit Papua-Neuguinea verbunden, aber trotz des um etwa 130 Meter niedrigeren Meeresspiegels nicht mit Indonesien, wo Borneo, Sumatra, Java und Palawan als Sundaland noch zum asiatischen Festland gehörten.
Wie die Boote ausgesehen haben, die die Einwanderer genutzt haben, weiß man leider nicht, es sind bislang keine Überreste gefunden worden. Diese liegen aufgrund des gestiegenen Meeresspiegels vermutlich auch 100 Meter unter Wasser. Herr Bednarik hat 1998 versucht, mit einem Bambusfloß von Timor nach Australien zu segeln. Die Segel am sechs Meter hohen zweibeinigen Mast waren geflochtene Palmblätter, acht Baumstämme mit Lianen verbunden bildeten den Rumpf. Das Gefährt wurde auf den schönen Namen »Viele fahren zur See, um zu fischen, aber nur wenige sind auserkoren« getauft. Der indonesische Name Nale Tasih klingt zugegebenermaßen gefälliger. Trotz Sturms schaffte das Unternehmen in 13 Tagen etwa 500 Seemeilen, das sind ungefähr 900 Kilometer. Also wird es möglich gewesen sein, die seinerzeit nur etwa 80 Kilometer breite Wasserstraße zu überwinden. Die Menschen wussten allerdings nicht, worauf sie sich einließen. Den Wert von 80 Kilometern können wir heute abschätzen, seinerzeit gab es lediglich ein scheinbar endloses Meer - und vielleicht ein paar angespülte Pflanzen oder Tiere, die neugierig machten, woher die wohl stammen könnten. Wie viele erfolglose Versuche es gegeben hat? Sicherlich einige.
Amerika
Amerika wurde vor etwa 15.000 Jahren über eine Landbrücke im Norden, die trotz der seinerzeitigen Kaltzeit nicht durch Eis versperrt war, erreicht. Diese entstand nach dem aktuellen Stand der Forschung vor 35.700 Jahren, wie Forscher aus dem Vergleich von Stickstoff-Isotopen in den Sedimenten benachbarter Regionen im Bereich des arktischen und des pazifischen Ozeans ableiten können. Wasser war in den Gletschern der Eiszeit gebunden, der Meeresspiegel lag also deutlich tiefer. Es muss sehr kalt gewesen sein. Sibirien und Alaska sind ja heute noch Gegenden, in die man ohne Thermounterwäsche nur ungern fährt. Was unsere Vorfahren in die Gegend trieb, wissen wir nicht. Vermutlich war es die Jagd auf Wollhaarmammuts, Riesenfaultiere, Steppenwisente und ähnliches Wild, wobei man natürlich immer ein wenig das Auge darauf richten musste, ob nicht irgendein Säbelzahntiger aus der Gegend gerade auf die gleiche Idee gekommen war.
Die Landbrücke wurde auch von anderen genutzt. Zog der Mensch von West nach Ost, so wählten Kamel und Pferd die entgegengesetzte Richtung und setzten sich von Amerika in Richtung Asien ab - um danach dann in Amerika auszusterben.
Auf ihrem Weg nach Osten hatten sich die Menschen entscheiden müssen, ob sie die Gebirgsketten Zentralasiens, also den Himalaya und seine Kollegen, rechts oder links liegen lassen wollten. Entscheidungen unter Unsicherheit - es waren sicherlich die Vorfahren der heutigen Manager, die sich seinerzeit auszeichneten. Die eine Gruppe war dann Richtung Australien unterwegs, die andere Richtung Amerika.
Die Einwanderer mussten sich in den kalten Regionen und eiszeitlichen Phasen schon richtig etwas einfallen lassen, um zu überleben. Aber sie hatten ja auch 30.000 Jahre hinter sich, seitdem sie Afrika verlassen hatten, da gewöhnt man sich mit der Zeit auch an niedrigere Temperaturen.
Diese sogenannten Clovis-Menschen, benannt nach dem ersten Fundort von entsprechenden Speerspitzen in New Mexico, waren allerdings nicht zwingend die ersten Vertreter des Homo sapiens in Amerika. Funde von bearbeiteten Mammutknochen, Lagerfeuern, die mit Knochenmehl als Brennstoff betrieben wurden, und Fußspuren beispielsweise in Uruguay und Mexiko weisen darauf hin, dass bereits vor 36.000 Jahren Menschen in Amerika gelebt haben. Woher und auf welchem Wege diese in die »Neue Welt« kamen, wissen wir leider noch nicht. Vielleicht haben sie den Landweg von Sibirien sofort nach dessen Öffnung genutzt, zeitlich würde das sogar halbwegs passen. Man hat allerdings Schädel gefunden, die auf eine Herkunft aus dem südostasiatischen Raum schließen lassen. Man hat Werkzeuge gefunden, die sehr ähnlich zu denen des europäischen Solutréen sind. Man hat 143 indianische Sprachen analysiert, die sich so sehr unterscheiden, dass es 60.000 Jahre gebraucht hätte, wenn diese sich aus einer Population heraus entwickelt hätten. Wir müssen hier aufmerksam bleiben, lassen es derzeit sehr offen. Wir wollen ja keine neuen, wirren Theorien in die Welt setzen.
Im Rahmen der klassischen Theorie der Nord-Süd-Besiedlung erreichte der Mensch etwa vor 12.500 Jahren die mittelamerikanische Landenge von Panama und etwa 1.000 Jahre später dann die Südspitze des Kontinents. Zu diesem Zeitpunkt schloss sich im Zuge der allgemeinen Erderwärmung auch wieder die Landbrücke im Norden. Den nächste (bekannte) Kontakt zwischen Alter und Neuer Welt gab es dann erst durch die Wikinger und dann durch Kolumbus und die Konquistadoren. Keine zwingend erfreuliche Geschichte. Es dauert aber auch noch, bis wir da sind.
Kuba und die karibischen Inseln erreichten die Menschen aus Nordamerika kommend allerdings erst vor 5.000 Jahren. Wahrscheinlich fehlten die Prospekte mit den Palmenstränden.
Überraschung auf Madagaskar
Manche Regionen erreichten unsere Vorfahren auch sehr spät. Menschen auf Madagaskar hat es wohl schon seit längerem gegeben, eine wirkliche Besiedlung der großen Insel vor der Ostküste Afrikas gab es aber erst vor gut 2.000 Jahren. Das ist im Vergleich noch nicht so lange her. Überraschenderweise handelte es sich dabei wohl um Menschen, die nicht aus dem nahen Afrika, sondern aus Asien, wie uns die Mitochondrien verraten war es wohl Indonesien, zugewandert waren. An der kürzesten Strecke sind es 420 Kilometer nach Mosambik, nach Indien beträgt die Distanz das Neunfache dieser Strecke. Die asiatischstämmige Urbevölkerung war nicht sehr zahlreich, lebte dort aber rund 1.000 Jahre relativ unbehelligt. Dann traf eine ebenfalls nicht sehr große Zahl von bantustämmigen Afrikanern auf der Insel ein, vermischte sich mit den Einheimischen, worauf es zu einer gewissen Bevölkerungsexplosion gekommen sein muss. Mit allen uns bereits bekannten unerfreulichen Folgen für die Megafauna wie Riesenlemuren oder Elefantenvögel. Dieser kleine Exkurs nach Madagaskar soll uns nur zeigen, wie vielfältig und manchmal unwahrscheinlich die Wege der Menschheit waren und sind. Die große Linie, die wir hier zeichnen, weicht häufig von der lokalen Realität ab. Gleichwohl müssen wir uns auf diese grobe Sicht beschränken, um überhaupt voranzukommen. Man muss es nur wissen.
Ein kleines Massenaussterben großer Tiere
Der Homo sapiens hatte ja nicht das Ziel, bestimmte Orte, beispielsweise Sahul, also Neuguinea und Australien, zu erreichen. Als Jäger und Sammler suchte er Wege, sein Überleben zu sichern, folgte also Beutetieren und zog in neue Gebiete. Eine gewisse menschliche Neugier wird auch eine Triebfeder gewesen sein.
Dabei war er rücksichtslos auf den eigenen Vorteil aus, ein Charakterzug, den wir heute allenfalls noch dem angeheirateten Großcousin väterlicherseits zuschreiben können. Man findet Spuren, dass Homo sapiens in Europa Wildpferde oder Bisons in Nordamerika in Massen über Abgründe gehetzt hat, um an das Fleisch der getöteten Tiere zu kommen, welches er nur zu einem sehr geringen Teil wirklich nutzen konnte. Vor 30.000 bis 15.000 Jahren erfand er Pfeil und Bogen und konnte so noch gezielter und erfolgreicher auch auf die Jagd nach schnelleren und gefährlicheren Tieren gehen. Diesen bekam das nicht wirklich gut.
Es ereignete sich zwar kein übergreifendes Massenaussterben, wie wir es in der Erdgeschichte kennengelernt haben, aber den großen Landtieren ging es ordentlich an den Kragen. In Australien, wohin es der Homo erectus nicht geschafft hatte, starben nach Ankunft des Homo sapiens 23 der 24 Tierarten aus, die mehr als 50 Kilogramm Lebendgewicht hatten. Es hätte den Riesenkängurus oder Beutellöwen wahrscheinlich auch wenig geholfen, sich mit der Brigitte-Low-Carb-Diät auf unter 50 Kilogramm herunterzuhungern. Auch in Nordamerika war der Mensch das Ende von Mammut, Mastodon, Säbelzahntiger und Riesenfaultier. Insgesamt starben zwei Drittel der großen Säugetierarten aus. Neben der intensiven Jagd mögen auch durch die Menschen eingeschleppte Krankheitserreger sowie die sehr geringe Reproduktionsrate der großen Tiere und die damit verbundene schwierige Kompensation von Populationsverlusten eine Rolle gespielt haben.
Zudem kannten die Tiere in diesen Regionen keine gefährlichen Zweibeiner. Der Homo erectus war ja dort nicht aufgetaucht, dass man sich an ihn und seine gefährliche Jagdlust hätte evolutionär gewöhnen können. Von diesen Winzlingen droht uns doch keine Gefahr, mögen sich Herr und Frau Mammut gedacht haben. Leider doch. Für diese These spricht auch, dass es in Afrika noch relativ viel Großwild gibt. Hier konnten die Tiere über die Jahrzehntausende eine natürliche Scheu gegenüber den zweibeinigen Jägern entwickeln. Gleiches gilt grundsätzlich auch für Eurasien, wo ja der Homo erectus schon seit Längerem sein Unwesen trieb. Allerdings überlebten auch hier Mammut, Waldelefant und Waldnashorn letztlich nicht. Das letzte Mammut starb vor etwa 4.000 Jahren auf der Wrangel-Insel nördlich Ostsibiriens – merkwürdigerweise zeitnah, nachdem der Mensch auch diese Insel erreicht hatte.
Das nächste Mal schauen wir uns ein wenig näher an, wie Familie Homo sapiens den Alltag meisterte. Das wird nicht unanstrengend, da heißt es tapfer bleiben.