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(20) Assyrien und Mitanni

In Assyrien ist die Geschichte eigentlich einfach zu erzählen. Es gab über alle Jahrhunderte hinweg nur eine einzige Stadt, die Macht hatte. Dass dies Assur war, wird Dich nicht überraschen, wenn der ganze Landstrich als Assyrien in die Weltgeschichte einging. Erst kurz vor Ende des Assyrischen Reiches kam ein König auf die übermütige Idee, die Hauptstadt zu verlegen. Im Gegensatz zu den vielen rivalisierenden Städten im Süden also eine überschaubare Welt? Natürlich nicht. Aber wann ist Geschichte schon überschaubar? Wir geben uns trotzdem Mühe.

 

Das Altassyrische Reich - ein erster Versuch

Im 3. Jahrtausend v. Chr. war es mit der Eigenständigkeit von Assur noch nicht ganz so weit her. Vermutlich – ein Wort, mit dem hier jeder Satz beginnen kann – befand man sich in Abhängigkeit von Akkad und von Ur.  Auch die assyrische Sprache war »nur« ein Dialekt des semitischen Akkadisch. Seine Bedeutung verdankte Assur vor allem der Lage an den wichtigen Handelswegen, die Babylonien im Süden mit Syrien im Westen und dem Iran im Osten verbanden.

Im 18. Jahrhundert v. Chr. konnte Schamschi-Adad I. (reg. etwa 1808 bis 1776 v. Chr.), vermutlich ein Amurriter, das erste Mal die Macht Assyriens über das gesamte Nord-Mesopotamien bis hinein in den Osten der heutigen Türkei ausdehnen. Der Versuch war nicht von Dauer. Schamschi-Adad war immerhin bereits der 44. König, der in der assyrischen Herrscherliste auftaucht. Du bist mir sicher dankbar, dass ich Dir diesen Vorlauf erspare, zumal viele der Namen auf dieser Liste, historisch nicht belegt sind. Es gab »Könige, die in Zelten lebten«, »König mit Namen auf Ziegelsteinen« und »Könige, die Vorfahren waren«. Ob die anderen alle kinderlos starben? Wir wissen es nicht und lassen so diesen Teil der Geschichte lieber im Dunkel ruhen und damit auch die Könige Ititi (um 2270 v. Chr.) und Silulu. So entgehen wir auch der Gefahr letzteren mit seinem Kollegen Sulili (vielleicht um 2000 v. Chr.) zu verwechseln, obwohl manche Forscher beide doch für eine Person halten.

 

Im Süden regierte zu dieser Zeit Hammurabi, der nach Schamschi-Adads Tod die Chance nutzte und Assur seinem Reich einverleibte. In der Folge verliert sich die Spur eines assyrischen Reiches. Das Altassyrische Reich Schamschi-Adads war sozusagen nur ein kurzes Aufflackern der Möglichkeiten, die dieser Region innewohnten. Es dauerte noch lange, bis diese jemand erneut erkennen und nutzen konnte.

 

Mitanni

Ein wesentlicher Grund für die relativ lange »Ruhephase« Assyriens war, dass sich mit Mitanni ab dem 18. Jahrhundert im Norden Syriens ein Reich bildete, das für eine weitere Staatenbildung zwischen sich und Babylonien einfach keinen Raum ließ. In Mitanni herrschten die Hurriter, wohl ein Bergvolk, das ab dem 3. Jahrtausend aus dem Kaukasus eingewandert war. Ihre Sprache war weder semitisch noch indogermanisch. Die Lingua franca der Schriftsprache war zu dieser Zeit eh das Akkadische, so dass man vom Hurritischen nur aus wenigen Quellen weiß.

 

Die Expansionsgelüste Mitannis bezeugen unter anderem Kriegszüge nach Palästina und bis hinein nach Ägypten.

Es gibt auch die Vermutung, dass die Hurriter um 1650 v. Chr. sogar Macht im Reich am Nil übernommen haben. Dies war allerdings nicht die Folge einer mitannischen Eroberung. Hurritische Handwerker, Kaufleute und sicher auch Soldaten wanderten zunehmend aus Syrien und Palästina ein. Die Machtübernahme erfolgte also vermutlich nicht kriegerisch, sondern durch sukzessive Infiltration über einen längeren Zeitraum hinweg. Zudem werden auch Amurriter und Bewohner anderer Ortschaften beteiligt gewesen sein. Sie herrschten in Unterägypten als 15. Dynastie mit der Hauptstadt Auaris im östlichen Nildelta. Wir werden sie als Hyksos, was »Herrscher der Fremdländer« bedeutet, wieder treffen, wenn wir durch Ägypten streifen. Immerhin gut 100 Jahre konnten sich die Hyksos an der Macht halten, bevor sie von den in Oberägypten herrschenden Pharaonen der 17. Dynastie vertrieben wurden.

 

Genug gespoilert. Wenden wir den Blick wieder nach Norden, wo das Großkönigtum Mitanni entstand, das sich von der nordsyrischen Mittelmeerküste bis zum Oberlauf von Euphrat und Tigris erstreckte und somit auch das assyrische Ninive und die Hauptstadt Assur umfasste. Nuzi in der Nähe des heutigen Kirkuk im Irak war eine der östlichsten Städte des Einflussgebietes.

In Folge kam es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen Mitanni und Ägypten. Thutmosis III. zog mehrmals gen Norden, um seinen Einflussbereich zu sichern. Nach den Erfahrungen mit den Hyksos wollte man sichergehen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.

 

Insgesamt lag Mitanni allerdings in einer strategisch ungünstigen Mittellage. Ägypten im Süden, die Hethiter in Kleinasien im Nordwesten und Babylon im Südwesten, alles Schwergewichte der damaligen Zeit. Immerhin konnten kleinere Reiche wie zur damaligen Zeit Assur oder das luwische Kizzuwatna im südostanatolischen Kilikien seitens Mitanni unterworfen werden. Um sich zu wehren, baten Mitannis Gegner auch gerne bei den Babyloniern oder Hethitern um Hilfe, so dass man stets in alle Richtungen vorsichtig sein musste.

 

Glücklicherweise gelang zumindest mit Ägypten schließlich eine Aussöhnung. Die Enkel, Urenkel und Ururenkel von Thutmosis III. nahmen mitannische Prinzessinnen zur Frau. Schuttarna II. (reg. frühes 14. Jh. v. Chr.) oder Tuschratta (reg. 1358 bis 1335 v. Chr.), beides mitannische Könige, sandte sogar die bekanntermaßen heilkräftige Statue der Göttin Schawuschka, die mit der uns bereits bekannten Ischtar gleichzusetzen ist und die also ein Portfolio von der richtigen Schlachtordnung im Kampf über die Gerechtigkeit bis hin zur sexuellen Liebe bediente, ihrem kranken »Bruder«, dem Pharao Amenophis III. (reg. 1390 bis 1353 v. Chr.) Wir wollen jetzt nicht rätseln, was eine Göttin befähigte, für Krieg und Sex zuständig zu sein, was das über das normale damalige Eheleben aussagt, an welchem Leiden Amenophis III. gelitten haben mag und wie der mitannische König überhaupt ohne seine Statue ausgekommen ist. Es wird schon alles seine Richtigkeit gehabt haben. Vielleicht war der Pharao auch gar nicht krank und Schawuschka sollte nur seiner geplanten Eheschließung mit Tuschrattas Tochter Tadukhipa (um 1350 v. Chr.) ihren Segen geben. Über die Jahrhunderte hat die Statue aber anscheinend ihre Heil- und Segenskraft verloren - oder Amenophis hatte sie vollständig aufgebraucht. Auf jeden Fall werden wir ihr in der weiteren Geschichte nicht mehr begegnen, wiewohl es sicher hie und da hinreichend Anlässe gegeben hätte.

 

Mit den west- und östlichen Nachbarn hatte Mitanni weniger Glück. König Atraschumaras (reg. bis 1370 v. Chr.) wurde von einem Usurpator ermordet, der sich jedoch gegen die Brüder des Ermordeten nicht durchsetzen konnte. Der uns bereits bekannte Tuschratta setzte sich auf den Thron. Sein Bruder Artatama (reg. im frühen 14. Jh. v. Chr.), war dessen nicht zufrieden und suchte bei den Hethitern und den Assyrern um Unterstützung seiner Ansprüche nach. Der Herrscher Assurs, ein Herr namens Assur-Uballit I. (1365 bis 1330 v. Chr.), war nicht dumm, sah die Gelegenheit und nutzte sie. Mit seiner Unterstützung wurde Tuschratta aus der Hauptstadt Waschukanni vertrieben und Artatama kam als der zweite seines Namens auf den Thron. Dieser Erfolg hatte seinen Preis, im wahrsten Wortsinn. Sein Sohn und Nachfolger Schuttarna III. (reg. im 14. Jh. v. Chr.) musste den Thronschatz Mitannis nach Assur ausliefern, das sich nun aus der Abhängigkeit von Mitanni vollständig befreit hatte.

 

Die Situation blieb aber schwierig. Die Hethiter schlugen sich nämlich auf die andere Seite. »Balance of Power«, die Idee hatten nicht erst die Briten. Schuppiluliuma I. (reg. 1370 bis 1330 v. Chr.) unterstützte Tuschrattas Sohn, der als Schattiwazza (reg. um 1340 v. Chr.) den mitannischen Thron besteigen konnte.

Der Großmachtstatus Mitannis war aber auf jeden Fall Geschichte. Die Hethiter hatten das Sagen im Land und im Osten nagte mit zunehmendem Erfolg Assur an den Grenzen. Dies fiel ihnen insofern leicht, als die Hethiter zunehmend durch Konflikte mit Ägypten gebunden waren.

Erst nach dem Friedensschluss mit Ägypten unter Ramses II. (1303 bis 1213, reg. 1279 bis 1213 v. Chr.) nach der für die Hethiter unter Muwatalli II. (reg. 1294 bis 1272 v. Chr.) 1274 erfolgreich verlaufenden Schlacht von Kadesch im heutigen Syrien konnte sich deren König Hattuschili III. (reg. 1267 bis 1237 v. Chr.) wieder seinen östlichen Nachbarn widmen. 1267 v. Chr. kam es zum Show-down mit dem Assyrerkönig Salmanassar I. (reg. 1273/1263 bis 1244/1234 v. Chr.). Letzterer setzte sich durch. Das war auch Mitannis Ende als hethitischer Vasallenstaat. Das Land unterstand zum größten Teil Assyrien, die Hurriter waren Untertanen.

 

Das Mittelassyrische Reich

Salmanassars Nachfolger Tukulti-Ninurta I. (1243 bis 1207 v. Chr.) schaffte es, den Herrschaftsbereich Assyriens noch weiter auszudehnen. Er einigte sich mit den Hethitern und war, wie wir gesehen haben, sogar einige Jahre Herrscher über Babylonien. Der sogenannte »Seevölkersturm«, der ab 1200 v. Chr. Ägypten, aber auch Griechenland und Kleinasien in Bedrängnis brachte und Hatti, das Reich der Hethiter, in den Abgrund stürzte, ging an Assyrien relativ spurlos vorbei. Den Druck, den die aus dem Westen verdrängten Aramäer ausübten, bekam, wie wir wissen, vor allem das südliche Mesopotamien ab.

Höchstwahrscheinlich war eine Dürre im Mittelmeerraum Auslöser für die Wanderungsbewegung der dort siedelnden Völker. Assyrien lag nicht am Mittelmeer und daher auch nicht im direkten Einflussbereich dieser Gruppen. Hier hatten Tukulti-Ninurta und seine Nachfolger, die alle nur kurz regierten und deren Namen ich Dir erspare, also das Glück der richtigen geographischen Lage.

Aber das Rad der Geschichte dreht sich. Tukulti-Ninurtas Erfolg schuf ihm Neider, alles gipfelte nach 37 Regierungsjahren in seiner Ermordung durch einen seiner Söhne. »Oh Mensch, frohlocke, juble fast, wenn du noch 'ne Verwandtschaft hast …«, die Dichterin war in der Geschichte nicht in allen Kapiteln firm, scheint mir.

 

Sohnemann und seine Gefolgsleute waren jedoch bei weitem nicht so tüchtig wie der Vater und bald war Babylonien wieder obenauf.

Zwar konnte Tiglatpilesar I. (reg. 1114 bis 1076 v. Chr.) noch einmal Assyriens Macht erneuern. Er profitierte vom gleichzeitigen Ende sowohl des Hethiterreiches als auch der kassitischen Herrschaft in Babylonien. Zudem endete in Ägypten die Zeit der Ramessiden der 20. Dynastie in inneren Unruhen, die dazu führten, dass die phönizischen Städte in Palästina wie Byblos oder Sidon abfielen und nun lieber den Assyrern Tribut zahlten. Doch auch hier war es allein die Person, die Erfolg hatte. Nach Tiglatpilesars Tod brach das Assyrerreich auseinander. Assyrien war wieder auf das Stadtgebiet von Assur zusammengeschnurrt, status quo ante vor 600 Jahren.

 

Das Neuassyrische Reich

Tukulti-Ninurta I. hatte wenig Glück mit seiner Verwandtschaft. Seinem Namensvetter Tukulti-Ninurta II. (reg. 890 bis 884 v. Chr.) erging es da gut 300 Jahre später deutlich besser. Er war einer der drei Gründerväter des Neuassyrischen Reiches. Zusammen mit seinen Vorgängern Assur-dan II. (reg. 935 bis 912 v. Chr.) und Adad-nirari II. (reg. 912 bis 891 v. Chr.) erstarkte das Assyrische Reich in Nord-Mesopotamien erneut. Doch damit war es diesmal noch nicht genug. Unter den beiden Nachfolgern Assurnasirpal II. (reg. 883 bis 859 v. Chr.) und Salmanassar III. (reg. 858 bis 824 v. Chr.) wurde Assyrien zur wirklichen Großmacht.

Dabei klappte nicht alles. In Syrien gab es Probleme. In einer Völkerschlacht gelang es 853 den vereinten Kräften von Ägyptern, Israeliten, Aramäern, Phöniziern und Arabern den Vormarsch der Assyrer zu stoppen. Nach Babylonien trauten sie sich vielleicht nicht, auf jeden Fall kam es hier nie zu mehr als zu einzelnen Interventionen.

 

100 Jahre haben die fünf Könige gebraucht, um die Herrschaft der Assyrer zu erneuern. Eine stolze Leistung, begünstigt durch das Glück, dass hier mehrere fähige Herrscher aufeinanderfolgten. Dem Letzten in dieser Kette, Salmanassar III., entglitten die Fäden allerdings gegen Ende seiner Herrschaft. Vielleicht konzentrierte er sich zu sehr auf Äußerlichkeiten. So verlegte er beispielsweise die Hauptstadt von Assur nach Nimrud, nach vielen hundert Jahren! Das wäre so, als wenn die Bayern plötzlich nicht mehr München, sondern Ingolstadt als ihre Metropole bezeichnen würden. Das wollen wir weder den Münchnern noch den Ingolstädtern wünschen. Und Herr Seehofer ist ja auch nicht mehr im Amt.

 

Auf jeden Fall folgten den 100 Jahren Aufbauleistung wiederum etwa 100 Jahre, in denen Assyrien sehr stark um sein Überleben kämpfen musste. Eine wichtige Rolle spielte hierbei unter anderem die Königinmutter Sammuramat (etwa 850 bis 798 v. Chr.), die manche als Gärtnerin Semiramis sehen. Ob das mit den Hängenden Gärten, einem der sieben Weltwunder der Antike, allerdings stimmt, ist mehr als fraglich, zumal es für diese Rolle eine Reihe von weiteren Kandidatinnen gibt. Sammuramat, die etwa 840 v. Chr. geboren wurde, war auch ohne Gärtnerschürze eine bemerkenswerte Frau. Sie soll die Tochter eines babylonischen Königs gewesen sein, Marduk-zakir-sumi I. (reg. 855 bis 819 v. Chr.), wenn Du es genau wissen willst. Nach dem Tod ihres Mannes Schamschi-Adad V. (reg. 824 bis 811 v. Chr.) übernahm sie die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn Adad-nirari III. (reg. 811 bis 783 v. Chr.). Diese nutzte Sammuramat sehr erfolgreich. Sie soll Feldzüge nicht nur geplant, sondern auch angeführt haben. Die Meder wurden zurückgeschlagen, die Aramäer nicht nur besiegt, ihr Reich wurde vollständig unterworfen und Assyrien einverleibt. Innenpolitisch schreibt man ihr eine gut funktionierende Verwaltung und Gerichtsbarkeit zu. Wenn Du also eine Liste erfolgreicher Frauen erstellen willst, vergiss diese assyrische Königin nicht.

 

Das nächste Mal schauen, wir auf Größe und Niedergang des Assyrischen Reiches. Beides in einer Folge, manchmal geht es eben schnell.