Wir haben die Geschichte Mesopotamiens in Sieben-Meilen-Stiefeln durchschritten. Angesichts der doch eher schwierigen Quellenlage und der Vielzahl der beteiligten Parteien war dies eine pragmatische, vulgo von Faulheit getriebene Lösung, die der Geschichte des Zweistromlandes in dieser sehr langen Periode sicherlich nicht wirklich gerecht wurde. Mal sehen, wie uns das in Ägypten gelingt.
Prädynastik
Ägypten ist ja der südwestliche Zipfel des Fruchtbaren Halbmonds. So entwickelte sich auch hier ähnlich wie in Mesopotamien frühzeitig eine eigenständige Zivilisation. Ab 5450 v. Chr. ist Ackerbau im Niltal durch Vorratsgruben für Getreide belegt. Vielleicht kamen die Menschen aus dem uns schon bekannten Gilf-Kebir-Plateau mit seinen Felszeichnungen, das in der äußerst südwestlichen Ecke des heutigen Ägypten liegt. Durch die klimabedingte Ausbreitung der Wüste wurden die Menschen zum fruchtbaren Niltal gedrängt, so die Theorie.
Wir wissen, dass es im Gebiet der Sahara immer mal wieder für ein paar tausend Jahre durchaus angenehme Lebensbedingungen gegeben hat. Vor etwa 10.000 Jahren begann die bisher letzte dieser Phasen. Nach 4.000 Jahren, also um 4000 v. Chr. wurde es allerdings schon wieder ungemütlich. Da schien die Gegend am Nil doch einladender. Verlockend war zum einen die durch die jährlichen Überschwemmungen des Nils herbeigeführte hohe Fruchtbarkeit der Böden, ähnlich wie im Zweistromland. Hinzu kam, dass die Umgegend eher unwirtlich war, man also vor größeren Angriffen relativ sicher sein konnte. Die Menschen mussten allerdings lernen, mit den jährlichen Überschwemmungen umzugehen, da diese ja durchaus auch eine zerstörerische Wirkung haben können.
In der sogenannten vordynastischen Zeit oder Prädynastik, bevor sich also reichsweite Herrschaftsstrukturen bildeten, sind Funde unterschiedlicher Kulturen belegt. Bedeutende Beispiele sind die Merimde-Kultur, benannt nach dem Fundort 45 Kilometer nordwestlich von Kairo in Unterägypten und die Badari-Kultur aus Oberägypten. Techniken der Metall-, zu der Zeit vornehmlich der Kupferverarbeitung waren noch kaum bekannt. Diese Kulturen existierten bis etwa 4000 v. Chr., vermutlich kamen dann die Stämme aus der trockener werdenden Sahara mit neuen Ideen.
In Oberägypten folgte dann die bis etwa 3200 v. Chr. datierte Naqada-Kultur. Ein wesentliches Merkmal – auch bereits der Badari-Kultur – sind die aufwändigen Grabstätten mit wertvollen Grabbeigaben, wie man sie in Naqada etwa 45 Kilometer nördlich von Luxor ausgegraben hat. Sehr feine Keramik, filigrane Elfenbeinschnitzereien und vereinzelt sogar Kupfernadeln oder –perlen, allerdings kaum Figurinen, wurden den Toten mit auf ihre letzte Reise gegeben. Die Ausstattung der Gräber wurde mit der Zeit größer und reicher. Anhand der Grabausstattung und –beigaben wird erkennbar, dass sich zunehmend hierarchische Differenzierungen herausbildeten, Belege für die komplexer werdende Gesellschaftsstruktur. Erste Mumifizierungen sind erkennbar und auch der dreieckige Bart und die phrygisch anmutende Mütze, die später als weiße Krone des Südens genutzt wurde, tauchen auf. Nachweisen lassen sich erste staatliche Strukturen von acht, später dann drei regionalen Herrschaften. Diese reichten bis zum Fayyum-Becken südlich des Nildeltas. In inneren Kämpfen setzte sich schließlich eines dieser Fürstentümer durch und konnte sich auch Unterägypten einverleiben. Doch wir greifen vor.
Weibliche Seele und Vasenständer
So langsam beginnt um 3500 v. Chr. die Zeit der bezeugten Herrscher. Anfangs waren dies eher Kleinkönige, vergleichbar mit den Stadtherrschern Mesopotamiens. Schritt für Schritt entwickelten sich immer größere Regionen umfassende staatsähnliche Gebilde, sogenannte Gaue. Diese bildeten sich aus lokalen Fürstentümern des Neolithikums, hielten sich als Strukturelement aber über die gesamte ägyptische Geschichte. In der 3. und 4. Dynastie wurden die Gaue zu Verwaltungseinheiten. Zu Beginn zählte man 38 Gaue, später kamen durch Teilungen vier weitere dazu. Neben eher profanen Bezeichnungen wie Krokodilgau oder Schlangengau gab es auch Gaue, die mit sehr merkwürdigen Bezeichnungen in einzelnen Quellen stehen. So finden wir nicht nur den Rinderschenkelgau, sondern auch den Gau der weiblichen Seele oder den Gau des östlichen Vasenständers. Spätestens jetzt ahnen wir, dass bei diesen Übersetzungen immer etwas Vorsicht angeraten ist. Was die einen mit "Spitze des Fisches" übersetzen, liest sich bei den anderen als "Erster der Schwimmenden". Wir werden gleich bei den Namen der ersten Pharaonen noch auf größere Unterschiede stoßen.
Von Fingerschnecke zu Skorpion
Die ersten Herrschernamen, die uns durch Tonritzungen bekannt sind, lauten Fingerschnecke, Fisch, Pen-abu (um 3300 v. Chr.), Tier, Storch, Hund, Stier (um 3250 v. Chr.) und Skorpion I. (um 3200 v. Chr.). Ob das allerdings alles reale Menschen und Herrscher waren, ganz genau weiß man es nicht. Von einem »Horus-König Skorpion« wissen wir allerdings durch das älteste bekannte Ortsnamensschild, einen Stein mit einer über 5.000 Jahre alten Inschrift, die auf eine Domäne dieses Königs hinweist.
Auf jeden Fall war Oberägypten seinerzeit Vorreiter der kulturellen Entwicklung. Die Maadi-Kultur im Norden zeigt deutlich weniger hierarchische Strukturen und deutlich schlichtere Gräber als die der Naqada-Kultur im Süden. Die Überlegenheit Oberägyptens zu Beginn der staatlichen Geschichte zeigt sich äußerlich daran, dass die rote Krone des Nordens mit der typischen sich aufbäumenden Kobra, der Uräusschlange, die später Unterägypten repräsentieren sollte, ursprünglich für den nördlichen Teil Oberägyptens stand. Die weiße Krone wurde vorwiegend von den Herrschern im südlichen Oberägypten getragen. Unter dem griechischen Namen Pschent kennt man aus späteren Zeiten die gleichzeitige Benutzung beider Kronen.
Die Herrscherfolge in Ägypten gliedert sich in 31 Dynastien bis zur Eroberung durch Alexander. Dann herrschten bis Kleopatra (69 bis 30 v. Chr., reg. 51 bis 30 v. Chr.) die Ptolemäer und danach die römischen und in Folge die byzantinischen Kaiser, ehe 642 n. Chr. der Islam übernahm. Da kommen wir auch noch hin, aber das dauert ein wenig. Die Einteilung nach Dynastien orientiert sich nicht nur an der Frage der Abstammung der Herrscher, sondern auch an den Herrschaftssitzen. So können die direkten Nachfahren eines Pharao durchaus zu einer anderen Dynastie gehören.
Wir wollen im Folgenden nicht jeden Herrscher in jeder dieser 31 Dynastien durchklamüsern, aber schon ordentlich mit der 0. Dynastie beginnen. Diese begann um 3200 v. Chr. mit Hedju-Hor. In seine Nachfolge traten so freundliche Leute wie Doppelfalke (um 3170 v. Chr.) oder Krokodil (um 3170 v. Chr.), wobei Letzterer vielleicht lediglich ein Gegenkönig war. In dieser Zeit gab es höchstwahrscheinlich bereits die ersten überregionalen Herrschaftsgebiete. So trauen einige Forscher dem Herrscher Skorpion II. zu, etwa um 3100 v. Chr. eine Vereinigung zwischen Ober- und Unterägypten erreicht zu haben. Auch soll er sicherlich aufgrund der steigenden Größe des beherrschten Gebietes, des sich ausweitenden Handels und der komplexer werdenden Wirtschaftsstrukturen insbesondere im Bewässerungswesen, mehr Struktur und Hierarchie in der Verwaltung eingeführt haben.
Old Shatterhand am Nil
Aus den sich entlang des Nils aufreihenden einzelnen Dörfern entstanden größere Siedlungen. Aus dieser Zeit lässt sich ein Gebäude in der Größenordnung von 50 mal 30 Metern nachweisen, vermutlich ein Tempel oder ein Palast. Mit Narmer (um 3050 v. Chr.) endet die vordynastische Zeit. Der Name »Narmer« wird als »Wütender Wels« übersetzt. Oder ganz anders, aufgrund sehr weniger Quellen wird viel interpretiert. Er lässt sich auch martialisch als »Köpfezertrümmerer« bezeichnen. Old Shatterhand vor 5.000 Jahren. Vielleicht sind wir mit Narmer auch schon unversehens von der prä- in die frühdynastische Phase gewechselt und er ist der erste Pharao der 1. Dynastie.
Auf jeden Fall war Narmer ein erfolgreicher Herrscher, der auf vielen Darstellungen als siegreicher Kämpfer dargestellt wird, der sowohl über Ober- als auch über Unterägypten geherrscht hat. Aus dieser Zeit soll auch die älteste bekannte Brauerei stammen mit einer Produktionskapazität von 22.400 Litern Bier, wenn alle ausgegrabenen Bottiche komplett gefüllt worden wären. Damit könnte man immerhin den Jahresverbrauch von 244 deutschen Durchschnittsbürgern des Jahres 2022 n. Chr. decken. Es wird auch nicht nur einmal pro Jahr gebraut worden sein. Auf die Rolle des Biers als Grundnahrungsmittel sind wir ja bereits sehr früh gestoßen.
Auf einer Elfenbeinplakette findet sich auch die Darstellung eines Asiaten. Beziehungen bestanden auf jeden Fall in das heutige Israel, nach Nubien im Süden und Libyen im Westen, deren Nomadenstämme er aus dem Nildelta vertrieb. Ob die als »Asiat« bezeichnete Figur ein früher Vertreter Israels war, oder ob bereits auch Beziehungen nach Mesopotamien bestanden, wissen wir nicht genau. Unwahrscheinlich wäre letzteres allerdings nicht.
Frühdynastische Periode
Die ersten beiden Dynastien laufen unter dem Begriff Thinitenzeit, benannt nach dem 8. Gau Oberägyptens, dem Gau des ältesten Landes und seiner Hauptstadt Thinis. Man vermutet den Ort in der Nähe des heutigen Girga, gut 500 Kilometer südlich von Kairo. Thinis war die Heimat der ersten Herrscher, in der Nähe lag auch Abydos, wo sich viele Pharaonengräber aus dieser Zeit finden.
Namen sind Gold und Horus
Wie der erste Herrscher der ersten Dynastie hieß, ist unklar. Vielleicht hieß er Menes, vielleicht Aha (um 3000/2980 v. Chr.), vielleicht war es auch schon Narmer, den wir eben kennen gelernt haben. Vielleicht führte er auch alle diese Namen. Mit der Zeit gehörten zu jedem Pharao fünf Namen. Neben seinem (1) Geburtsnamen führte er einen (2) Thronnamen. Hinzu kam ein (3) Nebti- oder Herrinnenname, der auf die unterägyptische Kobra-Göttin Wadjet und die oberägyptische Geier-Göttin Nechbet hinweist, zudem ein (4) Goldname, der vielleicht den engen Bezug des Königs zur Sonne hervorheben sollte, und ein (5) Horusname. Bis in die 4. Dynastie war der Horusname der einzige Name des Pharaos, da man glaubte, der Herrscher repräsentiere zu seinen Lebzeiten den durch einen Falken symbolisierten Welten-, Licht- und Königsgott Horus auf Erden. Wenn wir ein wenig später die Geschichte von Isis und Osiris lesen, dann werden wir den Hintergrund verstehen.
In den etwa 100 Jahren der 1. Dynastie herrschten acht Könige. Hauptstadt wurde Memphis am Beginn des Nildeltas, nahe dem heutigen Kairo - wahrscheinlich zunächst im Rahmen einer neuerlichen Reichsteilung parallel zu Thinis, später dann für das gesamte Reich. Andere Quellen berichten von elf Königen der 1. Dynastie. Die Buchführung hapert in diesen Zeiten ja an vielen Stellen. Andere tauchen nur in späteren Königslisten auf. Es ist eben lange her, wir kennen das ja.
Der fremdländische Wasserbringer mit dem Zwerg
Herausheben wollen wir Den, der um 2930 v. Chr. regierte. Den ist der Horusname, hier kennen wir mit Chasti auch den Thronnamen, wohl eine Erfindung von Den. Über die Bedeutung der Namen wird heute noch gestritten, der eine übersetzt Den mit »Der Wasserbringer«, der andere mit »Der seine Flügel ausbreitet«. Näher beieinander ist man bei dem Namen Chasti, der mit »Der Beduine«, »Der Fremdländische« oder »Der jagende Nomade« übersetzt wird. Dies weist auf den Sieg über die Iuntui hin, Nomaden aus dem Sinai. Auch sind Feldzüge nach Nubien im Süden und nach Palästina bekannt.
Den war wohl der erfolgreichste Herrscher der 1. Dynastie. Er regierte 42 Jahre und konnte wie Narmer Ober- und Unterägypten unter seiner Herrschaft vereinen. Man vermutet, dass seine Mutter Meritneith in den ersten Jahren die Regierungsgeschäfte quasi in Alleinverantwortung geführt hat. In seinem Grab findet sich die erste Darstellung mit der Doppelkrone des Nordens und des Südens. Neben ihm ist unter anderem ein Herr Serinpu begraben, seines Zeichens Hofzwerg. Kleinwüchsige im Hofstaat zu haben, war in der Frühzeit ein Statussymbol, wobei diese Menschen auch hohe Ämter erreichen konnten. Andere Beamte, unter Umständen der königliche Siegler Hemaka, sind bereits in Sakkara begraben. Dieser Ort liegt etwa 20 Kilometer südlich von Kairo und ist durch die Pyramide des Djoser (reg. um 2665 bis 2645 v. Chr.) aus der 3. Dynastie bekannt. In der nächsten Folge sind wir dort
Während die 1. Dynastie Ägypten also eine relativ stabile Zeit bescherte, wurde es für die Herrscher der 2. Dynastie bunter. Sie begann wohl mit einem Machtkampf dreier Anwärter namens Vogel, Sneferka und Hetepsechemui (reg. um 2855/2840 v. Chr.), wobei Letzterer am Ende obsiegte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass zwischenzeitlich die Einheit von Ober- und Unterägypten auseinanderbrach. Chasechemui, der letzte König der 2. Dynastie, regierte um 2740/2690 v. Chr. und einte mit mehreren blutigen Feldzügen gegen das widerspenstige Unterägypten wieder beide Reichsteile unter einer Regierung.
Das nächste Mal bauen wir Pyramiden, wir sind ja nicht umsonst in Ägypten.