· 

(26) Dreimal Amenophis und viele Götter

Von Thutmosis III. zu Amenophis IV.

Nach Thutmosis III. herrschte sein Sohn Amenophis II. (reg. 1426 bis 1400 v. Chr.), der weitere Kriegszüge gegen Mitanni unternahm. Dessen Sohn Thutmosis IV. (reg. 1400 bis 1390 v. Chr.) schloss Frieden und heiratete, wie wir wissen, die mitannische Prinzessin Mutemwia. Amenophis III. (reg. 1390 bis 1353 v. Chr.) war der gemeinsame Sohn und der nächste Pharao. Ähnlich wie unter Hatschepsut war seine Regierungszeit eine relativ friedliche. Handelsbeziehungen nach Mykene in Griechenland, Knossos auf Kreta, Babylon, Mitanni und kleineren Reichen wie Arzawa in Südwest-Anatolien sind belegt. Er war ein kränkelnder Mann, für den seine Frau Teje (1398 bis 1338 v. Chr.) lange die Regierungsgeschäfte führte. Wir erinnern uns an die Statue der Göttin Schawuschka, die der König von Mitanni seinem Kollegen und Schwager nach Ägypten schickte, damit sie ihre Heilkraft an ihm beweise.

 

Teje war als Bürgerliche zur Großen Königlichen Gemahlin aufgestiegen, eine große Besonderheit in der ägyptischen Geschichte. In dieser Zeit gewann die zivile Verwaltung wieder an Bedeutung. Seit Thutmosis III. hatten die Militärs in allen gesellschaftlichen Bereichen dominiert. Für die meisten Pharaonen war Memphis Regierungssitz, während Theben geistig-religiöses Zentrum blieb. Aus dieser Zeit stammen auch die Überreste der größten antiken Stadt, die jemals in Ägypten ausgegraben wurde. Sie liegt bei Luxor und ist für ihr Alter erstaunlich gut erhalten. Sie wird als das »Schillernde Aten« bezeichnet und verweist mit ihrem Namen auf den Sonnengott Aton, von dem wir demnächst noch einiges hören werden.

 

Amenophis III. wollte wie sein Vater auch mit Tadukhipa eine mitannische Prinzessin zur Nebenfrau nehmen. Da er aber vor ihrer Ankunft verstarb, heiratete diese, da sie nun schon mal da war, seinen Sohn Amenophis IV. (reg. 1353 bis 1336 v. Chr.), der mit seiner ersten Frau Nofretete bereits drei Töchter hatte. Amenophis IV. war eine ganz besondere Gestalt in der Weltgeschichte. Er wurde unter dem Namen Echnaton berühmt. Mit ihm werden wir uns ein wenig näher befassen müssen. Es ist aber klug, wenn wir vorher noch einen Blick in das ägyptische Pantheon werfen, das er ordentlich durcheinanderwirbeln sollte.

 

Die ägyptische Götterwelt

Auch die Ägypter hatten – wie es damals üblich war – eine Vielzahl unterschiedlicher Gottheiten. Ihre Götterwelt war alles andere als fest geordnet. Die Zuständigkeiten waren mehrfach vergeben, Götter wurden miteinander kombiniert, sogar verschmolzen, sie wurden andererseits auch aufgeteilt, Götter anderer Völker wurden aufgenommen und das alles noch unterschiedlich in den einzelnen Regionen. Für viele von uns, die wir in einer monotheistisch geprägten Welt aufgewachsen sind, ist das alles schwer zu verstehen, geschweige denn zu ordnen.

 

Einige Namen haben sich in unsere Zeit herübergerettet, so Re, der Gott des Kreuzworträtsels. Vor 3.500 Jahren stand er in der Hierarchie noch etwas höher. Er war der Sonnengott und galt daher als Vater aller Götter und als Schöpfer der Welt. Es werde Licht. Kommt Dir das bekannt vor? Den Re-Kult betrieb man besonders in Heliopolis, einer Stadt, in der nach der Vorstellung der Ägypter die Welt entstanden sei. Heute bedecken Stadtteile Kairos ihr Gebiet.

 

Kriegs- und andere Götter

Jede Stadt hatte ihren besonderen Schutzpatron, so war dies in Memphis Ptah als Gott der Handwerker und Künstler. Wir erinnern Memphis als Militärzentrum, in dem Thutmosis III. ausgebildet worden war und hätten also eher einen Kriegsgott erwartet. Das war das Ressort des falkenköpfige Month, der für das religiöse Zentrum Theben zuständig war. Ein wenig verkehrte Welt, vielleicht aber auch kompensatorisch zum eigenen Stärken-Schwächen-Profil sinnreich eingerichtet.

 

Ptah wird übrigens von Sprachwissenschaftlern als das Vorbild für "El" gesehen, dem kanaanäischen Gottes der hebräischen Bibel. Aus dem Begriff "El" entwickelte sich auch die Bezeichnung "Allah", die die Muslime für Gott nutzen. Dabei war "El" nicht schon der erste Gott einer monotheistischen Religion, auch andere ägyptische Götter fanden Eingang in die Glaubenswelt der Kanaanäer, so etwa Hathor, die Göttin der Liebe, des Friedens, der Schönheit, von Tanz, Musik, Trunkenheit und Kunst als "Baalat". Hintergrund dieser "Übernahme" war, dass die Ägypter auf dem Sinai in Serabit el Chadim ab etwa 1900 v. Chr. in großem Stil Türkis und Kupfer abbauten und so in Kontakt mit den nomadisch lebenden Kanaanäern kamen. Die schauten sich nicht allein die Götter ab, sondern scheinen auch eines der ersten Alphabete der Welt entwickelt zu haben.

 

Doch zurück zur ägyptischen Götterwelt. Neben Month gab es noch weitere Kriegsgötter, insbesondere, da die Ägypter keine Hemmungen hatten, auch die Götter eroberter Gebiete zu kooptieren. So war Anat eine altsyrische Kriegsgöttin, die auch gegen wilde Tiere helfen sollte. Reschef hatte seinen Ursprung als Kriegsgott in Kanaan und war in einer Vater-Mutter-Kind-Triade verbunden mit Qadesch, einer Göttin der Ekstase und des sexuellen Vergnügens und Min, einem Fruchtbarkeit- und Totengott, der mit erigiertem Glied dargestellt wurde. Dieses Familienleben war zumindest nicht langweilig. Pachet, »die Kratzende«, war nicht nur die Schutzherrin der Neurodermitiker, sondern auch eine Kriegsgöttin, ebenso wie die löwenköpfige Sachmet und Upuaut, der als Hund oder Schakal dargestellt wurde. Es wurde allerdings fein unterschieden: Upuaut war Todesgott, Sachmet Göttin der Heilung.

 

Wir können jetzt nicht alle Götter und Göttinnen des Pantheons durchgehen, zumal niemand die Vollständigkeit einer solchen Liste garantieren könnte. Es gibt Aufstellungen mit 250, aber durch die vielen Eingemeindungen von den Göttern eroberter Gebiete auch welche mit 1500 Einträgen. Tenemu, die Göttin der Weglosigkeit wäre uns bei dem Versuch nahe und in unserer Verzweiflung würden wir Zuflucht bei Tjenemit, der Göttin des Bieres, suchen. Halten wir es diesbezüglich also mit der Göttin Meretseger, das ist diejenige, »die das Schweigen liebt«, und konzentrieren uns auf wenige, um zumindest einen groben Eindruck zu erhalten, wie es in den Tempeln Ägyptens zuging.

 

Isis und Osiris

Beeindruckend ist die Zahl der Gottheiten, die mit dem Tod in Verbindung stehen. Wir schauen nicht auf Ammit, »die Fresserin der verurteilten Toten« oder Amaa, »die Fresserin des Esels«, wollen aber Isis und Osiris den Platz einräumen, der ihnen gebührt. Die Geschichte der beiden berührt die Menschen bis heute.

Seth, auch ein Totengott, daneben für Wüste, Unwetter, Chaos, Verwirrung, Verderben, aber auch für Oasen und Metalle zuständig, hasste seinen Bruder Osiris und töte ihn mit einer List. Da Isis, die Frau des Osiris, zu dieser Zeit schwanger war, konnte sie nicht gegen Seth kämpfen, der so zur Weltherrschaft gelangte. Horus, der Sohn der Isis, wurde im Geheimen geboren und in einem Körbchen auf dem Nil ausgesetzt, damit Seth ihn nicht finden konnte. Er wuchs bei Menschen auf, während Isis sich auf der Suche nach Osiris machte. Sie fand seinen Leichnam in einer von Seth gefertigten bleiummantelten Kiste als Pfeiler im Palast des Königs Melkart in Byblos im heutigen Libanon. Dieser Melkart wird uns später wieder als Staatsgott der Karthager begegnen. Isis überredete ihn, Osiris Körper freizugeben. Sie brachte ihn nach Ägypten und es gelang ihr, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Als Göttin kann man so etwas. Seth blieb diese Wiedererweckung allerdings nicht verborgen. Er tötete Osiris erneut und verstreute den Leichnam über das ganze Land. Isis ließ sich jedoch nicht entmutigen und sammelte diese Teile wieder ein. Sie fand alle, bis auf eines. Ein Krokodil hatte den Phallus des Osiris gefressen. So konnte Isis ihren Gatten nicht erneut wieder zum Leben erwecken. Sie versuchte alles, aber auch die Idee, es mit einer Kopie aus Holz zu probieren, schlug fehl. Osiris wurde daraufhin Herrscher des Totenreiches, wo er für die tägliche Wiedergeburt des Sonnengottes Re verantwortlich war. Isis war traurig und weinte und sorgte mit ihren Tränen für die Nilüberschwemmung. In der weiteren Geschichte kämpfen Horus und Seth miteinander. Auf die Hilfe von Geschwistern musste Horus aus bekannten Gründen verzichten. Der Konflikt zwischen ihm und Seth endete mit Vorteilen für Horus. Die Welt wurde zwischen beiden geteilt. Horus erhielt das »schwarze Land« Ägypten und Seth das »rote Land«, also die Wüste. Jeder ägyptische Pharao inkarnierte in Folge bei seinem Ableben in die Rolle des Osiris, sein Nachfolger auf Erden wurde gleichsam ein neuer Horus. So trug fast von Beginn an jeder Pharao als einen von fünf Beinamen den Horusnamen, den er sich selbst zu Ehren des Gottes aussuchen konnte.

 

Wie wir es von den Griechen her kennen, waren auch die ägyptischen Götter in ihren sozialen und familiären Beziehungen sehr menschlichen Verhaltensweisen verhaftet. Liebe, Hass, Neid, Hilfsbereitschaft, Machtstreben und Eifersucht… es war alles dabei, wie wir auch in der Geschichte von Isis, Osiris, Seth und Horus gesehen haben.

 

Namedropping

Schauen wir noch kurz auf die Promis unter den Göttern. Den schakalköpfigen Anubis kennen wir zumindest dem Namen nach, er war für die Totenriten verantwortlich. Bastet war die Fruchtbarkeitsgöttin, Geb der Erdgott. Hu, der Gott des gesprochenen Wortes, muss auch den Sioux irgendwie bekannt gewesen sein. Ihr »Howgh, ich habe gesprochen« kennen wir ja aus den Romanen von Karl May. Auch dem Baumeister Imhotep begegnen wir hier als einem vergöttlichten Menschen wieder. Kek und seine Frau Keket verkörpern die Finsternis, Maat die Ordnung und Gerechtigkeit, Hatschepsut nannte sich in ihrem Thronnamen nach ihr.

Nut war die Göttin des Himmelsgewölbes. Dies ruhe auf zwei Säulen im Osten und im Westen, zwischen denen am Himmel eine dem Nil entsprechende Linie den Lauf von Sonne und Sternen vorgebe. Die Oberwelt, eine vom Nil geteilte Scheibe, auf der die Menschen leben, trage diese Säulen und wird ihrerseits durch vier Säulen der Unterwelt getragen, in der, wie wir gesehen haben, Osiris herrschte.

Schu personifizierte die Luft zwischen Himmel und Erde. Die Pharaonen hatten mit Selket eine eigene Schutzgöttin. Sopdet hatte als Göttin der Nilflut und des sie ankündigenden Sirius eine hohe Bedeutung für das Leben der Menschen. Den Rest der Götter, viele kleinere und mittlere Gottheiten, und ihre Zuständigkeiten z. B. für Flüsse, Häuser und dergleichen schenken wir uns, auch wenn dem ein oder anderen Babi als dämonischer Gott, der in den menschlichen Eingeweiden lebt, vielleicht ganz bekannt ist. Von wegen und »Die Rache des Pharao«, hier haben wir den Übeltäter.

 

Amun und Re

Die wichtigsten Götter in diesem Reigen – und auch im damaligen Ägypten – sind bzw. waren Re und Amun.

In Theben reüssierte Amun, der Gott des Windhauchs und des Lebensodems, zum offiziellen Reichsgott. Das Besondere an ihm war, dass er die Freundlichkeit besaß, auch außerhalb von Tempeln zu verkehren und so armen Leuten auf entsprechende Gebete hin direkt helfen konnte. Die meisten anderen Götter waren eher menschenscheu veranlagt. Die Tempel, die ihnen als Wohnungen auf der Erde gebaut wurden, waren nur für wenige auserwählte Priester zugänglich. Der normale Ägypter wartete dann á la Herr Borchert draußen vor der Tür und hoffte, dass die Priester sein Anliegen auch mit dem notwendigen Nachdruck weiterleiteten.

 

Für Amun wurde in der Nähe von Theben die Tempelstadt Karnak errichtet, die Ägyptenbesucher noch heute fasziniert. Die zumindest lautmalerische Namensgleichheit mit dem französischen Carnac, wo ja auch - allerdings ungefähr 2000 Jahre ältere - frühgeschichtliche Zeugnisse Touristen anziehen, ist aber wohl eher zufällig.

Amun war mit Mut verheiratet, was Mutter heißen soll. Folgerichtig war sie es auch, und zwar die des Mondgottes Chons und symbolisch die des Pharao. Auch für Mut und den Kriegs- und Thebaner Stadtgott Month waren in Karnak Tempelbezirke reserviert. Andere, wie etwa Ptah, aber auch Pharaonen hatten (oder bekamen später) in Amuns Bezirk zumindest eigene Tempel.

 

Für viele Themen waren mehrere Götter zuständig. Auch am Beispiel der verschiedenen Sonnengötter können wir sehr schön sehen, wie wichtig Priester als Mittler zwischen Göttern und Menschen waren.

Re war der Sonnengott, mit der Sonne als Lebensspenderin der Schöpfergott schlechthin. Aber diese Ehre musste er sich teilen. Chephre und auch Harmachis waren Götter des Sonnenaufgangs, Harachte der der Morgensonne, und die Abendsonne wurde in dem Gott Atum verehrt. Re selbst blieb die Tagessonne. Nachts verschlang die Himmelsgöttin Nut die Sonne, um sie am nächsten Morgen wieder zu gebären und im Osten aufzugehen zu lassen. Die Sonnenscheibe selbst war Aton.

Alles ein bisschen viel? Es ist einsichtig, dass man Spezialisten benötigte, um da durchzusteigen. Die Priester werden zudem sicherlich darauf geachtet haben, dass es für den normalen Menschen nicht zu einfach wurde. Eine böswillige Unterstellung, ich gebe es zu.

Die Komplexität lässt sich zudem noch steigern. So gab es neben den Triaden, die wir schon kennengelernt haben, sogenannte Einwohnungen oder Synkretismen. Das waren Verbindungen zwischen einzelnen Göttern, etwa als Amun-Re zwischen Amun und Re. Koalitionen auf Zeit oder auf Dauer sozusagen. Diese wurden dann zusätzlich auf andere Götter übertragen. Re-Harachte galt in bestimmten Regionen als wesensgleich mit Horus. So konnte ein Gott dann schon mal in der Gestalt eines anderen angebetet werden. Die Verbindung zwischen Göttern und Tieren verwundert dann kaum noch. Sachmets Löwenkopf kennen wir schon, Horus war ein Falke, Hathor erschien in Kuhgestalt usw. usf. 

 

Amenophis IV., der »Notgatte« der mitannischen Prinzessin war vielleicht genauso überfordert wie wir und versuchte etwas Ordnung in den Laden zu bringen. Das nächste Mal schauen wir, wie er dies anstellte.