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(31) Die dritte Zwischenzeit

Das Ende der 20. Dynastie

Wir haben das Ende des Neuen Reiches als eine Zeit der Auflösung kennengelernt. Streiks, Hungersnöte und ein monatelanger Bürgerkrieg prägten das Leben. Die wirtschaftliche Lage war desolat, Plünderungen der Nekropolen waren schon seit längerem nichts Ungewöhnliches mehr. Ramses XI. versuchte von Piramesse aus so gut es ging, den Norden zu regieren. Im Süden mussten sich die Hohepriester in Theben anstrengen, an der Macht zu bleiben. In ihrer Not richtete sich der Zorn der Menschen immer mehr gegen die reichen Tempel und ihre Priester. 

 

Der Hohepriester des Amun in Theben und faktische Herrscher in Oberägypten Amenhotep (um 1100 v. Chr.) wurde gestürzt. In dieser Situation sah Panehsi (um 1100 v. Chr.), der Vizekönig von Nubien, seine Chance. Er griff zum Schwert und eroberte Theben und die dortigen Getreidespeicher. Mutig geworden wollte er seinen Eroberungszug weiter gen Norden führen. Ramses XI. hatte jedoch noch die Kraft, ihn zu stoppen. Der siegreiche General aus der Schlacht gegen Panehsi, vielleicht ein Herr namens Pianch (um 1100 v. Chr.), wollte seinen Erfolg ummünzen und griff nach dem Amt des Hohepriesters in Theben. Bald danach übernahm sein Sohn Herihor (amt. 1080 bis 1074 v. Chr.) diese Rolle, der sich auch, wie es sich für einen Priester gehört, »Generalissimus von Ober- und Unterägypten« nannte.

 

Im Norden verlor Ramses XI. dagegen immer mehr an Macht. Bereits zu seinen Lebzeiten taucht in Berichten Smendes als eigentlicher Herrscher Unterägyptens auf. Das war kein Überraschungsgast. Er war über seine Mutter vielleicht mit Herihor verwandt und mit einer Tochter Ramses XI. verheiratet. Als erstem Pharao der 21. Dynastie werden ihm die Regierungsjahre 1077 bis 1052 v. Chr. zugeschrieben, im Norden gilt er manchen Forschern bereits ab 1080 v. Chr. als Herrscher. Wenn die Zeiten so durcheinander sind, hat eben keiner die Muße, die Aktenlage ordentlich zu hinterlassen. Nun müssen wir damit leben. Wir nehmen es gelassen.

 

Die 21. Dynastie

Auch wenn es bereits während er 20. Dynastie keine gefestigte Herrschaft mehr gab, wird die sogenannte Dritte Zwischenzeit mit den Dynastien 21 bis 24 verbunden.

Die Zeit der 21. Dynastie, die bis etwa 945 v. Chr. andauert, können wir uns ein wenig als Konföderation zweier faktisch unabhängiger Staaten vorstellen. Die Hohepriester in Theben regierten, wenn wir so wollen, einen Gottesstaat, dessen Götter in ihrer Bedeutung auch in Unterägypten anerkannt werden. Der Süden erkannte quasi im Gegenzug den Pharao in Tanis formell als Staatsoberhaupt  des gesamten Ägypten an. So ganz friedlich-entspannt war die Situation jedoch nicht. Man versuchte, den Staatshaushalt durch Rückgriff auf die Grabbeigaben verstorbener Pharaonen zu sanieren. Dabei kamen den findigen Ägyptern noch weitere Ideen. Die noch erhaltenen Mumien wurden in Massenverstecke verfrachtet und die dann leeren Sarkophage für die eigene Bestattung umgewidmet. So finden wir den Pharao Psusennes I. (reg. 1047 bis 1001 v. Chr.) aus Tanis im Sarkophag Merenptahs und der thebanische Hohepriester Pinudjem I. (amt. 1070 bis 1032 v. Chr.) in dem von Thutmosis I. »Zarah Leander, alles durcheinander«, hätte mein Lateinlehrer konstatiert. Wir wollen nicht weiter überlegen, welche Optionen sich aus dieser Idee für die heutige Zeit ergeben könnten. Mit den Grabbeigaben ist es ja auch nicht mehr so dolle, dass der Finanzminister bei dem Gedanken feuchte Hände bekommen würde.

 

Insgesamt war es eine sehr unruhige Phase. Viele Herrscher wie Djedchonsiuefanch mussten mit inneren Unruhen kämpfen. Wir heben diesen Herren, einer von drei Söhnen und Nachfolgern von Pinudjem I. und Hohepriester in Theben von 1046 bis 1045 v. Chr., nur wegen seines einfallsreichen Namens ein wenig heraus, auch wenn dieser in der deutschen Übersetzung »Chons hat gesagt: er wird leben« eher langweilig klingt. Andere Herrscher, wie der Pharao Siamun (986 bis 967 v. Chr.), hatten Zeit und Geld, dass sie in Bautätigkeiten stecken konnten. im Übrigen dürften wir die ägyptischen Herrscher erst ab Siamun »Pharao« nennen, da er der Erste war, der das ägyptische »Per aa« für »Großes Haus« als offiziellen Titel trug.

 

Man nimmt an, dass bereits die Pharaonen der 21. Dynastie, die in Unterägypten herrschten, zumindest in Teilen libyscher Herkunft waren. Ähnliche Vermutungen gibt es für die Hohepriester in Theben, wo sich ja der gegen den Nubier Panhesi erfolgreiche Feldherr aus dem Norden als Hohepriester eingesetzt hatte. Auch wenn durch den Sturm der Seevölker in Kleinasien und in der Levante die bekannten Herrschaftsstrukturen zugrunde gingen, und auch wenn die Pharaonen schon der 19. Dynastie entsprechende Angriffe zurückschlagen konnten, war das Land, wie wir gesehen haben, nicht gefestigt, um alle Angriffe von außen zu überstehen.

Ähnlich wie die Hyksos in der Zweiten Zwischenzeit von Osten kommend auf in Unterägypten bereits vorhandene Bevölkerungsteile aufbauend die Herrschaft übernehmen konnten, gelang es jetzt den von Westen eindringenden Libyern. Ramses III. hatte nach seinem Sieg die geschlagenen Meschwesch im westlichen Nildelta angesiedelt, wo sie jetzt ihre Herrschaft auf- und ausbauten. Die libysche Herrschaftstradition war deutlich weniger zentralistisch ausgerichtet als der ägyptische Staat. Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr. bestanden in Unterägypten unterschiedliche Herrschaftsbezirke, die von Tanis, Memphis, Sais, Bubastis, Busiris und Leontopolis regiert wurden. Südlich davon gab es Herrscher in Herakleopolis, Hermopolis und letztlich wie gesehen in Theben.

 

Es mutet daher verwegen an, die Geschichte entlang einer linear geordneten Folge von Dynastien erzählen zu wollen. Mehr als in den beiden vorangegangenen trägt die Dritte Zwischenzeit ihren Namen zu Recht. Wir versuchen es jetzt mal auf die Schnelle.

 

Die 22. Dynastie

Die 22. Dynastie gründete Scheschonq I. (943 bis 922 v. Chr.), auch ein Libyer aus Bubastis im östlichen Nildelta. Er fand sogar Zeit, nach Palästina zu ziehen. Dort eroberte er die Philisterstadt Gezer, schloss dann aber Frieden mit dem jungen israelitischen Königreich. Eine ägyptische Prinzessin gelangte sogar in den Harem König Salomos (um 970 bis 931 v. Chr.). Scheschonq war durch seine Heiratspolitik auch in Ägypten relativ erfolgreich, man findet nach fünf Jahren seiner Regierung auch in Theben Schriften, die ihn als Pharao benennen. Sein Sohn Iupet (amt. um 944 bis 914 v. Chr.) wurde dort Hohepriester. Unter seinen Nachfolgern hielt diese Einheit jedoch nicht. Immerhin gelang es 853 v. Chr. Osorkon II. (reg. 872 bis 837 v. Chr.) im Bündnis mit Byblos und anderen einen Angriff der Assyrer unter Salmanassar III. in der Schlacht von Quarqar am Orontes im heutigen Nordsyrien zurückzuschlagen.

Innenpolitisch beging er dagegen einen großen Fehler, indem er um 874 v. Chr. gegen alle Regeln Harsiese (amt. 874 bis 860 v. Chr.) zum Hohepriester in Theben ernannte, obwohl dessen Vater bereits dieses Amt ausgeübt hatte. Das Konzept der Blutlinie war für diese Position explizit ausgeschlossen, um dynastische Entwicklungen zu vermeiden. Das kennen wir aus Ägypten eigentlich ganz anders. Aber Priester ist eben doch etwas Besonderes. Harsiese wollte selbst Pharao eines unabhängigen, von Theben aus regierten, Oberägypten werden, konnte sich aber letztlich nicht durchsetzen.

 

Die 23. und 24. Dynastie

Der Nachfolger Osorkons II., ein gewisser Takelot II. (reg. 837 bis 813 v. Chr.) gilt als erster Pharao der 23. Dynastie. Er soll Sohn eines Hohepriesters in Theben gewesen sein und vornehmlich in Mittel- und Oberägypten regiert haben. Er schickte seinen Sohn, den späteren Osorkon III. (reg. 795 bis 767 v. Chr.) nach Theben, um für Ordnung zu sorgen. Dort hatte sich mit Petubastes I. (reg. 826 bis 801) ein Rebell an die Macht geputscht. Osorkon brauchte etwas Zeit, um dessen Nachfolger Scheschonq VI. (reg. 801 bis 795 v. Chr.) von der Herrschaft zu vertreiben. An dieser Stelle wiederholen wir mal wieder den Hinweis, dass alle Zahlen und Herrscherfolgen gerade in diesen sehr turbulenten Zeiten hochgradig unsicher sind. Ich habe mich hier für eine Zeitenfolge entschieden, es gibt einige andere, die um zehn bis zwanzig Jahre in beide Richtungen differieren. Wir leben ja schon seit vielen Folgen mit dieser Situation, da werden wir auch die Dritte Zwischenzeit überstehen.

 

Nun wurde es so richtig bunt. Zum einen spaltete sich die Herrschaft mal wieder zwischen Unter- und Oberägypten, wo ja Osorkon III. an die Macht gekommen war. Damit nicht genug, auch die 24. Dynastie existierte zur gleichen Zeit und regierte Unterägypten von Sais aus. Wenn Du auf einem Namen bestehst, biete ich Dir den König Tefnachte (reg. 732 bis 725 v. Chr.), vielleicht ein Usurpator, dem es immerhin gelang, eine ganze Reihe von Städten im Nildelta zu erobern. So konnte er es wagen, sich auch in Richtung Süden zu orientieren, wo er sich dann aber schnell eine blutige Nase holte. Memphis fiel kurzzeitig in seine Hände, er musste es aber auch schnell wieder aufgeben.

 

Die 25. Dynastie und das Ende der Dritten Zwischenzeit

Nahezu alle Herrscher der 22. bis 24. Dynastie mussten sich Angriffen der Nubier aus dem Süden erwehren. 727 v. Chr. unterlagen sie deren Herrscher Piye (reg. 744 bis 714 v. Chr.) bei Herakleopolis. Das ist zwar noch etwa 100 Kilometer südlich von Memphis, aber schon sehr weit im Norden, auf jeden Fall aber in einer Gegend, wo wir die Nubier bisher noch nicht angetroffen hatten. Piye ist, Dich wird es in dem Wirrwarr der Dynastien, Priester, Fürsten und Pharaonen nicht verwundern, der dritte Herrscher der 25. Dynastie. Sein Vater Kaschta (760 bis 746 v. Chr.) war bis Assuan vorgestoßen. Piye gelang es, Ägypten vollständig zu erobern. Das war gleichzeitig das Ende der libyschen Herrschaft, ab jetzt hatten die Kuschiten das Sagen.

 

Der Eroberer Piye war ursprünglich Amunpriester, heiratete die Tochter des Königs von Napata, wie das Reich sich selbst nach der von Thutmosis III. am Berg Barkal gegründeten Grenzstadt nannte, und erklärte sich so selbst zum Herrscher. In Ägypten gelang es ihm aufgrund seiner Vorgeschichte schnell, die Amunpriesterschaft Thebens auf seine Seite zu ziehen und sich so eine gute eigene Machtbasis zu schaffen. Napata war hauptsächlicher Regierungssitz. Nach Piye regierten sein Bruder und Söhne von ihm, über die Reihenfolge und Verwandtschaftsverhältnisse streitet man noch. Nach Schebitko (reg. 714 bis 705 v. Chr.) und Schabaka (reg. 705 bis 690 v. Chr.) folgte Taharqa (reg. 690 bis 664 v. Chr.), wohl ein Sohn des Piye. Alle mussten sich Angriffen der Assyrer erwehren, die insbesondere ihren Machtbereich in Palästina sichern wollten und zunehmend gegen ägyptische Bundesgenossen vorgingen. Taharqa unterstützte diese und zog daher zunehmend den Zorn des assyrischen Herrschers auf sich.

 

Assyrische Herrschaft

Asarhaddon (reg. 681 bis 669 v. Chr.) hatte es schließlich satt und griff 673 v. Chr. Ägypten direkt an. Diesen Vorstoß konnte Taharqa noch abwehren und die durch viele Gewaltmärsche erschöpfte assyrische Armee schlagen. 671 v. Chr. nahm sich Asarhaddon dann mehr Zeit und hatte entsprechend auch Erfolg. Er belagerte das unter seinem König Baal (reg. 680 bis 660 v. Chr.) zu den Ägyptern übergelaufene Tyros und schlug in Folge am 16. und am 29 Juni sowie am 1. Juli die Ägypter drei Mal hintereinander in offener Feldschlacht, so dass er bis Memphis vorstoßen konnte. Er zog sich jedoch wieder zurück, um eine Verschwörung gegen ihn niederzuschlagen. Taharqa konnte also noch einmal Hoffnung schöpfen. Asarhaddon zog nach erfolgreicher Säuberungsaktion in Assyrien dann im 669 v. Chr. ein weiteres Mal gen Ägypten, starb aber auf dem Weg dorthin. Sein Nachfolger Assurbanipal (reg. 669/668 v. Chr. bis 631/627 v. Chr.) war dann erfolgreicher und konnte zunächst Unterägypten unterwerfen. 

 

Die Herrschaft versuchten die Assyrer durch die Einsetzung von loyalen Herrschern in den einzelnen Gauen zu sichern. Unter diesen nahm Necho I. (reg. 671 bis 664 v. Chr.) eine herausgehobene Stellung ein. Er wurde als Herrscher von Sais und Memphis eingesetzt und hatte im Nildelta eine Pharao-ähnliche Stellung. Auch nach seiner Beteiligung an einer missglückten Revolte gegen die Assyrer gelang es ihm, in dieser Stellung zu bleiben.

 

Im Süden trat nach Taharqas Tod ein gewisser Tanotamun (reg. 664 bis 657 v. Chr.) die Herrschaft an, wohl ein Nachfahre von Taharqas Vorgängern Schebitko oder Schabaka. Tanotamun konnte zunächst die Assyrer zurückzudrängen und bis ins Nildelta vorstoßen. In diesen Kämpfen fand der nun loyal auf Seiten der Assyrer kämpfende Necho I. den Tod. Der oberägyptische Erfolg war jedoch nur von kurzer Dauer, die Assyrer konnten zurückschlagen und bis nach Theben vordringen, das 663 v. Chr. geplündert wurde, wobei ein Großteil der ägyptischen Heiligtümer zerstört wurden. Ganz Ägypten stand nun unter assyrischer Herrschaft.

 

Wir haben diese Zeit nur sehr kurz und oberflächlich behandeln können, das Mit- und Gegeneinander der Priesterschaft mit den Königen, die Machtverhältnisse innerhalb der Priesterschaft und zwischen den Königen der Teilreiche konnten wir nicht einmal anreißen. Auch die Rolle der Gottesgemahlinnen des Amun in der thebanischen Hierarchie haben wir sträflicherweise nicht thematisiert, obwohl dieser seit der 18. Dynastie genutzte hohe Titel für Priesterinnen, in der Regel Angehörige des Herrscherhauses, gerade von den Kuschiten zur Festigung ihrer Macht aktiv genutzt wurde. Es ist klar geworden, dass das monolithisch erscheinende Ägypten sich in dieser Zeit immer wieder aufsplitterte, was Eroberern wie den Nubiern und schließlich den Assyrern ihr Vorhaben sehr erleichterte.

 

Es ist nicht überraschend, dass wir uns dem Ende der eigenständigen ägyptischen Geschichte nähern, der sogenannten Spätzeit. Schauen wir das nächste Mal, was diese noch zu bieten hatte.