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(34) Kleinasien nach den Hethitern

Nach dem Untergang des hethitischen Reiches verschwand dessen Kultur nicht völlig. In der ehemals kurzzeitigen Hauptstadt Tarhuntaschscha finden sich auch danach noch entsprechende Belege. Vermutet wird, dass sich die dortige Bevölkerung gegen das Zentralreich erhoben hatte und dabei obsiegte. Auch in Karkemisch in Nordsyrien hielten sich Herrscher hethitischen Ursprungs noch einige Zeit. Beide Provinzen waren ja seit jeher als Bollwerk gegen Assyrien stark und eigenständig organisiert gewesen.

 

Wir wollen jetzt noch kurz auf ein paar andere Reiche schauen, die sich in Folge in Kleinasien entwickelt haben, bevor dann mit den Persern und spätestens mit Alexander alles und alle untergehen.

 

Urartu

Das Wort Urartu bezeichnet eigentlich eine Landschaft in Ostanatolien im Grenzgebiet zum heutigen Iran und zu Armenien. Der Name ist seit dem 13. Jahrhundert v. Chr. bekannt. Das Reich der Urartäer, das sie selbst Biainili nannten, bildet sich aber erst um 860 v. Chr., also sehr deutlich nach dem Untergang der Hethiter. Wir kennen das Land aus der Bibel, der Berg Ararat, auf dem Noah mit seiner Arche landete, leitet sich aus dieser geographischen Bezeichnung ab. Urartu erreichte in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. seine größte Ausdehnung und Machtfülle, zu einer Zeit, wo Assyrien mit sich selbst beschäftigt war. Du erinnerst sich vielleicht noch an die Königin Sammuramat. 714 v. Chr. war es dann vorbei mit der Herrlichkeit, die Assyrer schlugen zu. Auch von Norden einfallende Stämme, so die Kimmerier, brachten nichts Gutes für Urartu. Das Reich hat also immerhin etwa 150 Jahre vielleicht nicht als Groß-, so doch als Regionalmacht existiert.

 

Phrygien

Die Phryger dürfen wir schon wegen der Mütze mit dem langen, runden nach vorne geschlagenen Zipfel nicht vergessen, wie sie die einen von der Jakobinermütze aus der Französischen Revolution und die anderen von den Schlümpfen her kennen. Wir hatten auch schon gelernt, dass die Krone Oberägyptens an eine phrygische Mütze erinnert. Die Phryger sind vermutlich Ende des 12. Jh. v. Chr. aus dem Balkan nach Kleinasien eingewandert, haben also durchaus eine gewisse verwandtschaftliche Nähe zu den Griechen. Sie stießen damit quasi in das Vakuum, das der Zusammenbruch des Hethiterreiches hinterlassen hat. Wir kennen die Phryger nicht nur aufgrund ihrer typischen Kopfbedeckung, auch König Midas ist uns aus mindestens zwei Geschichten noch in Erinnerung.

In diesen Erzählungen war er nicht einer der Hellsten. Zum einen erkannte er bei einem musikalischen Wettstreit nicht dem Kithara spielenden Apollon, sondern dem Flötisten Pan den Siegerpreis zu, worauf ihm Apollon die Ohren zu zwei Eselsohren lang zog. Allein Mr. Spock wäre neidisch gewesen. Midas dagegen verbarg seine Ohren unter der besagten phrygischen Mütze. Nur sein Friseur konnte sie sehen, durfte aber nichts erzählen. Sein berufsbedingter Mitteilungsdrang ließ sich aber nicht unterdrücken, so dass er am Fluss ein Loch grub, es diesem erzählte und es danach wieder zuschüttete. Leider hat das Schilfrohr mitgehört und erzählte nun die Geschichte mit jedem Windhauch von Binse zu Binse weiter, so dass es am Ende jeder wusste. Eine Binsenweisheit eben.

Noch berühmter ist die Sage, dass Midas, um weise zu werden, den Erzieher des Gottes Dionysos, einen Herren namens Silenos, fangen ließ. Der Gott wollte auf seine Schulstunden nicht verzichten und versuchte, seinen Lehrer freizukaufen. Wenn wir an Apollon denken, war dies doch eine sehr milde Variante einer Problemlösung. Midas verlangte und bekam als Kaufpreis die Fähigkeit, dass alles, was er berühre, zu Gold werden solle. Hörte sich erst einmal gut an, war aber nicht zu Ende gedacht, da so auch alle seine Speisen und Getränke zu Gold wurden. Um diese unglückliche Fähigkeit wieder loszuwerden, wies Dionysos ihn an, im Fluss Paktolos zu baden, der in Folge der goldreichste Fluss in Kleinasien wurde. Das ist lange her, aber wenn Du es unbedingt dort im nächsten Urlaub nach Spuren von Midas' Bad suchen willst: Heute heißt dieser Fluss Sart Çayı.

Und um die berühmten Mythen zu vervollständigen: Es war der phrygische König Gordios (ggf. um 750 v. Chr.), der den berühmten Gordischen Knoten band, den schließlich Alexander mit einem Schwerthieb durchtrennte.

 

Sicher ist, dass es in dem 80 Kilometer westlich von Ankara gelegenen Gordion, der Hauptstadt der Phryger, mindestens zwei Könige mit Namen Midas gegeben hat. Einer regierte im späten 8. Jahrhundert v. Chr., angeblich ein Sohn des besagten Knotenkünstlers Gordios. Dieser Midas soll 676 v. Chr. während eines Angriffs der Kimmerier Selbstmord begangen haben, indem er Stierblut trank. Achte also immer auf die Zutaten bei Deinen Smoothies. Es sind reichhaltige Kunstschätze erhalten, auch aus der Zeit nach dem Untergang des Reiches, größere außenpolitische Erfolge gab es allerdings nicht. Meist war man um Abgrenzung gegenüber den Assyrern bemüht, was insofern leichtfiel, als diese wenig Neigung zeigten, weiter nach Kleinasien vorzudringen. Am Ende wurde das Reich der Phryger um 675 v. Chr. Opfer der Kimmerier. Das kennen wir ja schon von Urartu, Zeit also, dass wir uns dieses Volk jetzt kurz anschauen.

 

Kimmerier

Den bekanntesten Kimmerier hat es nie gegeben. Conan, der Barbar, wurde von dem Schriftsteller Robert E. Howard erfunden. Dass wir mit dieser Kunstfigur einsteigen müssen, liegt daran, dass es leider kaum Überlieferungen gibt. Die Kimmerier lebten noch größtenteils nomadisch und es wurden insofern auch wenig archäologisch eindeutig zuordenbare Funde entdeckt. Ursprünglich stammen sie aus dem Nordkaukasus. Der Zugang vom Schwarzen zum Asowschen Meer östlich der Krim wurde auch Kimmerischer Bosporus genannt. Was sie veranlasst hat, ihre Heimat zu verlassen, ist unbekannt. Nach Herodot (etwa 484 bis 425 v. Chr.) sind sie von den ihrerseits durch die Massageten bedrängten Skythen vertrieben worden und haben sich letztlich an der Südküste des Schwarzen Meeres bei Sinope niedergelassen. Im Zuge dieser Wanderung, wenn wir sie mal so nennen wollen, kamen sie zu deren Unglück auch bei den Phrygern und Urartäern vorbei.

Wir kennen lediglich drei Namen von Königen der Kimmerier. Von Teuschpa (gest. 679 v. Chr.) wissen wir, dass er am Ende den Assyrern unterlag. Dugdamme (reg. 679 bis 640 v. Chr.) kämpfte gegen die Lydier im Westen Kleinasiens. Er verbündete sich mit dem Herrscher von Tabal gegen die Assyrer und marschierte dort ein. Dabei erkrankte er 640 v. Chr. und starb. Sein Sohn Sandakurru (reg. 640 bis etwa 630 v. Chr.) konnte den ehrgeizigen Plan seines Vaters nicht umsetzen. Er unterlag letztlich den Assyrern. Tabal, der Verbündete auf diesem Feldzug, war einer der kleinen Nachfolgestaaten in Mittelanatolien, der die hethitische Kultur und Tradition weiter pflegte. Wir ersparen es uns, es näher zu betrachten, ebenso wie Tuwana, Hubuschna oder Que. Wir schauen uns jetzt noch die Lykier und die Lydier an, versuchen diese nicht zu verwechseln.

 

Lykier

Lykien liegt im Südwesten Kleinasiens, allerdings weit genug von den Inseln der Ägäis, insbesondere Rhodos entfernt, als dass griechische Kolonien hier Fuß fassen konnten. Der Sage nach stammen die Lykier aus Kreta, wovon Minos seinen Bruder Sarpedon vertrieben hatte. Aus hethitischen Quellen sind die Lukka-Länder bekannt, die Einwohner nannten sich selbst Termilen. Erste Erwähnungen finden sich bereits 1710 v. Chr. in Ägypten, wo ein gewisser Kukkunis als Sohn eines Lykiers bezeichnet wird. 1274 v. Chr. kämpften sie auf der Seite der Hethiter in der Schlacht von Kadesch gegen Ägypten. Sie verbündeten sich im Seevölkersturm mit den Angreifern aus Libyen, um Ägypten zu erobern. Im eigenen Land konnten sich die Lykier den Angriffen der Lydier aus dem Nordwesten Kleinasiens lange erwehren. 540 v. Chr. kamen allerdings die Perser und eroberten das Land. Im großen persisch-griechischen Konflikt der folgenden Jahrzehnte stand Lykien meist auf der Seite der Perser und wurde 469 v. Chr. von dem Athener Kimon (etwa 510 bis 450 v. Chr.) erobert. Die griechische Vorherrschaft konnte sich jedoch nicht lange halten.

Wir erwähnen diesen relativ kleinen Landstrich zum einen, weil die Lykier doch immer eine aktive Rolle gespielt haben, sei es im Seevölkersturm oder in den Perserkriegen. Fast wichtiger ist jedoch der Lykische Bund, ein Zusammengehen von je nach Quelle 23 bis 36 Städten, das allerdings wahrscheinlich erst im frühen dritten Jahrhundert stattfand. Diese Städte zahlten Beiträge in Abhängigkeit ihrer Größe und entsandten entsprechend auch ein, zwei oder drei Vertreter in die Generalversammlung des Bundes. Montesquieu hat dies als vorbildliches Modell einer guten föderalen Republik hervorgehoben und dieser Gedanke war auch ideengebend für die amerikanische Verfassung. Dies wollen wir nicht unerwähnt lassen.

 

Karer

Erwähnen sollten wir auch die Karer. Nicht unbedingt, weil Karien im äußersten Südwesten Kleinasiens von herausragender politischer Bedeutung gewesen wäre. Zwischen 377 und 353 v. Chr. regierte dort allerdings Mausolos II. Er war ein geschickter Herrscher, der je nach Wetterlage die Perser oder den Attischen Seebund Athens unterstütze und so zeitweise auch über Rhodos und Kos herrschen konnte. Wir erinnern uns an ihn aber vor allem aufgrund seines in Halikarnassos in der Nähe des heutigen Bodrum errichteten, von seiner Schwester und Gattin Artemisia II. (gest. 351/350 v. Chr.) vollendeten Grabmals, das als eines der sieben antiken Weltwunder geführt wurde. Dieses nach dem König benannte Mausoleum war 46 Meter hoch und verfügte über eine mit Statuen und ionischen Säulen versehene Ringhalle und ein Dach, dass die Form einer 24-stufigen Pyramide mit einer marmornen Quadriga als Abschluss hatte. Im 12. Jahrhundert wurde es durch ein Erdbeben beschädigt, 1523 rissen es die Johanniter von Rhodos ab, um eine Festung zu bauen. Sic transit gloria mundi.

 

Lydier

Lydien umfasst den Westen Kleinasiens. Im Zusammenhang mit den Hethitern sind wir schon auf das Arzawa-Reich gestoßen, das als Vorläufer der lydischen Reichsbildung angesehen werden kann. Uns ist der König Gyges begegnet, mit dessen Hilfe Pharao Psammetich I. 656 v. Chr. die Assyrer aus Ägypten vertreiben konnte. Wenn wir Herodot glauben, wurde Gyges auf merkwürdige Weise König. Sein Vorgänger Kandaules (gest. 687 v. Chr.) wollte ihn, der sein Leibwächter war, von der Schönheit seiner Frau überzeugen. Gyges sollte sich im Schlafzimmer hinter der Tür verstecken, wenn die Königin zu Bett ginge. Sie bemerkte den Voyeur jedoch und stellte ihn vor die Wahl, entweder selbst zu sterben oder den König zu erschlagen, sie zu heiraten und damit selbst König zu werden. Wir wissen nicht, wie lange er überlegen musste, letzten Endes er traf seine Wahl. Wir merken aber schon, dass wir uns den Griechen nähern, die Geschichten werden bunter.

 

Gyges Regierungszeit begann etwa 680 v. Chr. und endete 644 v. Chr. Vorher gibt es kaum Hinweise auf eine lydische Reichsbildung. Kein Wunder, wenn Kandaules mehr auf die Schönheit seiner Frau konzentriert war. Gyges kämpfte an mehreren Fronten. Die Kimmerier beschäftigten ihn, er unterstützte Psammetich I. und versuchte, die griechischen Städte in Anatolien unter seine Herrschaft zu bringen. Mit Troja gelang dies, bei Milet und Smyrna scheiterte er. Sein Nachfolger Ardys (reg. 644 bis 637 v. Chr.) wurde zum Vasallen Assyriens. Unter Alyattes II. (reg. etwa 635 bis 585 v. Chr.) hatte das lydische Reich seine erfolgreichste Phase. Die Kimmerier wurden endgültig besiegt und Smyrna wurde lydisch. Milet wurde zwar nicht erobert, jedoch gab es wohl Verträge, die es in das lydische Machtsystem einbanden.

 

Der letzte Lydierkönig ist wieder ein alter Bekannter. Krösus (reg. etwa 585 bis 547 v. Chr.) ist heute noch das Sinnbild eines reichen Mannes. Im gelang es zunächst, weitere griechische Städte, wie etwa Ephesos, das durch seinen als Weltwunder eingeordneten Artemis-Tempel bekannt war und immer noch ist, zu unterwerfen. Dieser Tempel war eine der ersten Banken. Als heiliger Ort war er vor Angriffen und Dieben geschützt. Das klappte nicht immer, aber in Ephesos war das der Jagdgöttin Artemis gewidmete Heiligtum ein so besonderer Ort, dass sich niemand traute, sich daran zu vergehen. So lagerten dort nicht nur die Schätze, die man dem Tempel gestiftet hatte, sondern auch »Einlagen« von Menschen, vornehmlich wohl Piraten, und Städten, die dort ihr Geld sicher verwahrt wussten. Der Tempel arbeitete dann mit dem Geld, wie es Banken eben so tun und vergab Kredite, Anleihen, Investitionskapital.

 

Wir schweifen ab, zurück zu Krösus. Die lydischen Münzen wurden Kroiseids genannt und waren noch 30 Jahre über Krösus‘ Tod hinaus die Standardwährung in Griechenland. Daraus ist dann wohl die Legende des unermesslichen Reichtums des lydischen Königs entstanden. Sein Fehler war – wenn wir wieder auf die Erzählungen schauen wollen – das Orakel von Delphi zu optimistisch zu interpretieren. Er griff in der Erwartung, ein großes Reich zu vernichten, die Perser an. Das Orakel behielt auch Recht, nur das vernichtete große Reich war das lydische. Der Perserkönig handelte dabei insofern unfair, als dass er nach einem Unentschieden in einer Schlacht einfach weitermachte. Der Angriff der Lydier wurde dabei durch Thales von Milet (etwa 626/623 bis 548/545 v. Chr.) unterstützt, der sogar den Grenzfluss Halys umgeleitet haben soll, um den Lydiern einen Vorteil zu verschaffen. Wahrscheinlicher ist, wenn die Geschichte denn einen wahren Kern hat, dass er durch flussaufwärts gebaute Dämme zumindest die Strömungsgeschwindigkeit so weit verringern konnte, dass die lydischen Truppen den Fluss überqueren konnten. Thales soll sich bereits 585 v. Chr. als erfolgreicher Militärberater erwiesen haben, als er eine Sonnenfinsternis vorhersagte, die einen Krieg zwischen den Lydiern unter König Alyattes II. und den Medern unter Kyaxares II. beendet haben soll.

 

Krösus hatte sich nach der Schlacht, die er beendet glaubte, in seine Hauptstadt Sardes zurückgezogen und seine Söldner und Bundesgenossen in den Winterurlaub geschickt. Krieg führte man seinerzeit nur bei schönem Wetter. Der Perserkönig Kyros II. (um 600 bis 530 v. Chr., reg. 559 bis 530 v. Chr.) war anscheinend weniger kälteempfindlich, zog nach Sardes und gewann den Krieg. Krösus hatte nicht mehr lange zu leben. Die mangelnde Fähigkeit, Winterkriege zu führen, ist ja auch in der Neuzeit hie und da ein entscheidender Faktor gewesen. Es lohnt doch, aufmerksam durch die Geschichte zu streifen.

 

Wir wollen es nun mit den nach-hethitischen Reichen genug sein lassen, auch wenn das den Pamphylern, Mariandynern, Paphlagoniern und vielen anderen gegenüber unfair erscheinen mag. Das nächste Mal machen wir lieber einen Ausflug in die Levante und besuchen die Phönizier. Allerdings wird es erst einmal dunkel.