Letztes Mal haben wir uns bewundernd von Solon verabschiedet.
Hatte Solon aber auch Erfolg? Ja und nein. Als er von seiner zehnjährigen Reise zurückkam, fand er ein Athen an der Schwelle zur Tyrannis vor. So hatte er sich das sicher nicht vorgestellt. Auch wenn wir die Jahreszahlen und die Chronologie nicht eindeutig kennen, wissen wir doch, dass er den Kampf des Peisistratos (etwa 600 bis 527 v. Chr.) um die Alleinherrschaft in Athen noch miterlebt hat.
Peisistratos
Drei Parteien kämpften damals um die Macht: Lykurg – nicht der aus Sparta – war Frontmann der Partei »aus der Ebene«, Megakles, der Enkel des seinerzeit verbannten Alkmeoniden, führte »die von der Küste« und Peisistratos, ein Verwandter Solons, »die aus den Bergen«. Peisistratos brauchte drei Anläufe, um sich durchzusetzen. Nach zwei letztlich vergeblichen Versuchen, bei denen er sich 561/60 v. Chr. jeweils nur kurz an der Macht halten konnte, machte er erstmal eine Pause und ging ins Exil. In Thrakien erwarb er Silber- und Goldminen, wurde sehr reich, heuerte mit dem Geld Söldner an, schlug die attischen Streitkräfte und war schließlich 546/45 v. Chr. am Ziel. Sofern Du also auch mal Tyrann werden willst, sieh erst einmal zu, dass Du sehr reich wirst. Das hilft ungemein.
Peisistratos’ Herrschaft verlief dann bis zu seinem Tode ohne besondere Vorkommnisse. Das lag sicherlich an den Söldnern, die er weiterhin bezahlte und die verhinderten, dass mögliche Gegner auf dumme Gedanken kamen. Er hielt sich aber auch weitgehend an die Gesetze Solons, förderte die Bauern und regierte als umsichtiger Lenker Athens. Insofern haben sich Solons Ideen auch in die Zeit der Tyrannis positiv hinübergerettet. Peisistratos' Söhne Hippias (etwa 570 bis 490 v. Chr.) und Hipparchos (gest. 514 v. Chr.) folgten ihrem Vater gemeinsam an der Spitze des Staates. Auch sie ließen die von Solon etablierte politische Ordnung im Grundsatz unangetastet, sorgten aber schon dafür, dass an den entscheidenden Stellen Mitglieder der eigenen Familie oder enge Freunde saßen. Insgesamt war es eine für Athen wirtschaftlich sehr erfolgreiche Zeit, in der auch erstmals die bekannten Münzen mit der Eule, dem Symbol der Stadtgöttin Athene, auf der Rückseite geprägt worden sein sollen. Die Eule finden wir ja noch heute auf der griechischen Euro-Münze.
Kleisthenes
Alles hat ein Ende und dies gilt auch für die Herrschaft der Söhne des Peisistratos. Es war kein schönes. Ihre Vetternwirtschaft stieß naturgemäß Menschen auf, die die absolute Herrschaft einer Familie nicht als das Nonplusultra ansahen, insbesondere natürlich solchen, die nicht Mitglied dieser Familie waren.
Kleisthenes (etwa 570 bis 508 v. Chr.), der Sohn des Megakles »von der Küste«, den Peisistratos seinerzeit ausgeschaltet hatte, war einer dieser Männer. Zwar bekleidete er 525/24, also während der Tyrannis, das Archonat, ging dann aber ins Exil und suchte Wege, die Herrschaft von Hippias und Hipparchos zu beenden. 514 v. Chr. wurde Hipparchos ermordet. Wir wissen aber nicht, ob Kleisthenes von diesen Plänen wusste oder gar selbst involviert war. Hippias entging dem Anschlag und hielt sich weiter an der Macht. Erst durch die Hilfe der Spartaner konnte er 510 v. Chr. gestürzt und ins Exil geschickt werden. Wir werden noch von ihm hören.
Ein wesentlicher Grund für seinen Sturz war das Vordringen der Perser. Dareios I. zog gegen die Skythen nördlich des Schwarzen Meeres und eroberte in diesem Zusammenhang auch dessen Westküste bis nach Thrakien und Makedonien hinein. Damit gingen den Peisistratiden ihre Silber- und Goldminen in Thrakien verloren, so dass im Zweifel auch die Bezahlung der Söldner schwieriger wurde. Hippias konnte sich also nicht mehr richtig wehren. Zudem scheint es so, dass ein paar gezielte Zuwendungen an das Orakel von Delphi dazu führten, dass dieses den Spartanern riet, sich gegen den Athener Tyrannen zu wenden. Ein korruptes Orakel ist natürlich eine böswillige Unterstellung, aber so ganz aus der Welt scheint uns diese Geschichte nicht.
Kleisthenes war noch nicht ganz am Ziel. Er hatte zwar die Unterstützung der Bauern und der einfachen Bürger Athens, da er ihnen mehr Einfluss und Mitspracherecht versprach. Der Adel fand diese Idee jedoch nur mäßig gut und hielt dagegen. Hinzu kam, dass Kleisthenes als Abkömmling der Alkemeoniden immer noch der Kylonischen Frevel seines Vorfahren vorgeworfen wurde. Er konnte sich letztlich aber durchsetzen und auch seinen größten Widersacher, Isagoras (Archon 508 v. Chr.), der eine Adelsoligarchie anstrebte, ausschalten, obwohl dieser durch den spartanischen König unterstützt wurde.
Eine neue Ordnung
Kleisthenes’ Reformpaket gilt als weitere Grundlage der athenischen Demokratie. Nach Solon war er der zweite Reformer, der Athen auf einen ganz neuen Weg brachte. Während Solon einen Rahmen für die juristische Ordnung und die Verfassung schuf, können wir Kleisthenes’ Reformen am ehesten als eine Weiterentwicklung der Verwaltungsstruktur begreifen. Das mag jetzt technisch-bürokratisch klingen, schuf aber die Voraussetzung für eine bessere und organisiertere Teilhabe aller Bürger am politischen Geschehen und ist insofern ein wichtiger Türöffner auf dem Weg zur Demokratie. Wie Solon ging es ihm um einen besseren Ausgleich zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, konkret um eine Beschränkung der Machtfülle des Adels.
Grundlegendes Element der seinerzeitigen Gesellschaftsordnung war die Phyle, die seit alters her die Zugehörigkeit zu einem »Stamm« beschreibt. Inwieweit dies unmittelbar mit einer verwandtschaftlichen Beziehung zusammenhing, ist unklar. Aus diesen Verbünden entwickelte sich mit der Zeit die Zugehörigkeit zu Verwaltungsbezirken. Daneben gab es als weitere Untergliederung die Phratrie, ein Familienverband, der sich auf einen mythischen Ahnherrn beruft und von einer Adelsfamilie geführt wird. Phylen und Phratrien bestimmten das politische Leben, stellten gemeinsame Heeresaufgebote und waren auch religiös bestimmte Kultgemeinschaften. Damit waren sie ein ideales Herrschafts- und Steuerungsinstrument des Adels.
Kleisthenes organisierte die Sache neu. Er schuf 139 Demen, die jeweils zu einer von zehn neu aufgestellten Phylen gehörten. Wir wollen das jetzt nicht im Einzelnen aufdröseln. Wichtig ist, dass es gelang, die Zuordnung der Bürger zu den Demen so zu organisieren, dass die bisher bestehenden festen, von einer Adelsfamilie dominierten Verbünde aufgelöst wurden. Den Adeligen blieb zwar ihr Reichtum, ihr Vorsprung in Bildung und militärischer Ausrüstung und Erfahrung, sie konnten aber nicht mehr einfach »qua Ansage« ihre Interessen durchsetzen, sondern mussten in den Demen für ihre Ziele werben. Der Rat der 400, den Solon eingeführt hatte, wurde zum Rat der 500 aufgestockt, jede Deme entsandte je nach Größe zwischen ein und zwölf Mitglieder, mit einer Ausnahme. Die größte Deme Acharnai aus der gleichnamigen Stadt zwölf Kilometer nördlich von Athen durfte 22 Räte stellen. Pro Phyle kamen so 50 Abgeordnete zusammen. Diese amtierten ein Jahr und wurden anfangs vielleicht gewählt, später durch Los bestimmt. Neu eingeführt wurde wahrscheinlich auch der Ostrakismos, das Scherbengericht. Menschen, deren Namen sich auf mehr als 6.000 Tonscherben eingeritzt fanden, mussten die Stadt für zehn Jahre verlassen, ohne dass sie ihren Besitz oder ihre Grundrechte verloren. Auf diese Weise war möglichen Usurpartoren auf dem Weg zur Tyrannis ein weiterer Riegel vorgeschoben. Schließlich wurde auch das Militär reorganisiert, aus jeder Phyle wurde ein Stratege benannt, der durch die Volksversammlung gewählt werden musste. Das Gesamtkonzept lief unter der Überschrift Isonomie, was etwa »Gleichheit vor dem Gesetz« bedeutet. Diese galt allerdings nicht für Frauen, Sklaven und Zugezogene (Metöken). Aber immerhin, es war eine Weiterentwicklung von Solons Eunomie, die eher auf dem ideellen Streben aller nach einer guten Ordnung basierte.
Konflikte mit Sparta
Die Strategen bekamen auch schnell zu tun. Sparta schaute mit Unbehagen auf die Entwicklung in Athen. 506 v. Chr. griff es mit seinen Verbündeten aus dem Peloponnesischen Bund an, unterstützt durch Böotien und Chalkis auf Euböa. In Athen war man in Sorge und suchte in Kleinasien bei dem persischen Statthalter Artaphernes (amt. 513 bis 492 v. Chr.) um Hilfe nach. Der sah seine Chance und wollte als Gegenleistung die Anerkenntnis der persischen Oberhoheit über Athen. Die Volksversammlung widersetzte sich jedoch diesem Ansinnen, so dass die Stadt auf sich allein gestellt Sparta und seinen Verbündeten gegenüberstand.
So richtig wussten die Spartaner allerdings nicht, was sie eigentlich wollten, die beiden Könige stritten sich, die Bundesgenossen hatten unterschiedliche Meinungen, man zog sich schließlich erst einmal zur Klärung der Sachlage zurück. Sparta blieb erst einmal ganz außen vor und beschloss, um weitere Zwiste zu vermeiden, künftig nur mit einem der beiden Könige an der Spitze des Heeres in den Krieg zu ziehen. Athen war fein raus und konnte die verbliebenen Böotier und Chalkidier besiegen. In Chalkis wurde sogar eine auswärtige Siedlung attischer Bürger geschaffen, vermutlich die zweite nach Salamis, um das Solon ja bereits gekämpft hatte.
Sparta unternahm dann doch einen neuerlichen Versuch, um Hippias, den verbliebenen Sohn des Peisistratos, wieder an die Macht zu bringen. Wir haben nicht vergessen, dass sie vor Kurzem noch seinen Sturz unterstützten. In der Politik geht es um Macht, nicht um Nachhaltigkeit, das darfst Du nie vergessen. Hippias hatte sich nach Kleinasien zurückgezogen, wo er bei Artaphernes untergekommen war. Für diesen war er sicher eine Option, bei günstiger Gelegenheit in den innergriechischen Machtkampf eingreifen zu können. Zu diesem Zeitpunkt klappte es noch nicht. Sparta konnte (oder wollte) sich nicht gegen seine Bundesgenossen des Peloponnesischen Bundes durchsetzen, Hippias blieb bei den Persern und in Athen freute man sich über die Kleisthenische Ordnung, die allen Bürgern ein Mitspracherecht an den politischen Entscheidungen ermöglichte und die Zeit der Tyrannis hinter sich ließ.
Vor den Perserkriegen
Insgesamt war die Zeit zwischen 600 und 500 v. Chr. eine Zeit des Umbruchs. Die griechischen Städte erweiterten ihr Handelsnetz und gründeten Kolonien. Sparta war die Ausnahme, es konzentrierte sich mehr auf Wachstum und Machterhalt im eigenen Staatsgebiet und dessen Umfeld. Die anderen Städte kamen immer mehr mit anderen Kulturen in Berührung, der Wagemut einiger wurde belohnt, die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich immer weiter. Daraus entwickelten sich naturgemäß immer wieder politische Eruptionen. Der Aufstieg Athens, das zu dieser Zeit bestenfalls eine unter vielen der Poleis in Griechenland war, lag an dem klugen Umgang mit diesen Problemen. Solons Gesetzwerk ist dabei absolut nicht zu unterschätzen. Am Ende der archaischen Zeit finden wir also ein relativ mächtiges, aber sehr auf sich selbst konzentriertes Sparta auf dem Peloponnes. Athen stand nach den Kleisthenischen Reformen am Beginn einer großen Karriere. Darüber hinaus gab es viele einzelne Städte auf dem Festland, den Inseln und in Kleinasien, einige davon mit durchaus machtvollen Positionen, andere, insbesondere in Kleinasien unter Fremdherrschaft, erst der Lydier, dann der Perser. Grundsätzlich standen alle griechischen Städte dem Großreich der Perser gegenüber, manche als Eroberte, manche als Bedrohte. Diese Bedrohung war Ausgangs- und Endpunkt der sogenannten klassischen Periode Griechenlands.
Wir gönnen uns daher in den nächsten beiden Folgen einen Zwischenblick auf das Großreich der Perser, bevor wir in Griechenland weitermachen. Nach den Kleisthenischen Reformen wissen wir Athen ja erst einmal gut aufgehoben.