Safety first
Nach dem Sieg von Issos hätte es sich für Alexander angeboten, den Blick nach Osten zu wenden und das Herz des Persischen Reiches direkt anzugreifen. Viele seiner Berater und Generäle rieten ihm zu. Alexander wählte jedoch eine vorsichtigere Variante. Zum einen war die persische Armee noch nicht vernichtet und zum anderen beherrschte Dareios' Flotte noch gestützt auf die phönizischen Häfen das östliche Mittelmeer. Dies war auch eine potentielle Gefahr für Makedonien selbst, da die Perser versuchten, sich mit den Spartanern zu verbünden und den Krieg in Alexanders Heimat zu tragen.
Tyros macht Probleme
Daher erschien es klüger, sich erst einmal der phönizischen Städte und im Anschluss auch Ägyptens zu bemächtigen, um Persien auch von den dortigen Tributen und Nachschublieferungen abzuschneiden. Also ging es nach Süden, wo sich die meisten Städte wie Byblos, Tripolis oder Sidon auch schnell ergaben. Allein Tyros stellte sich quer und hoffte, aufgrund seiner Lage auf einer Insel 800 Meter vor der Küste und seiner Flotte vor einem Angriff sicher zu sein und auch eine mögliche Belagerung gut überstehen zu können. Man kann sich irren im Leben, manchmal ist das wirklich traurig. So erging es auch Tyros.
Zu Beginn gelang es zwar, die ersten Versuche Alexanders, einen Damm zu bauen und die Stadt mit Katapulttürmen anzugreifen, mit Brandern zu torpedieren. Alexander suchte nun die Unterstützung von der Seeseite und sammelte aus Zypern, Byblos und Sidon eine Flotte von 250 Schiffen, mit denen er den Hafen von Tyros angriff. Der Durchbruch zur Eroberung der Stadt gelang allerdings nicht, so dass die Makedonen sich zu einer anhaltenden Seeblockade gezwungen sahen. Das Spiel stand auf Unentschieden, Alexander kam nicht in die Stadt, auf der anderen Seite scheiterten Ausfälle der Tyrer. Remis ist aber in Kriegen selten eine Lösung, vielleicht fehlen die neutralen Schiedsrichter.
Einen konnte Alexander allerdings für sich nutzen und die tyrische Flotte vernichten. Diese hatte zuvor zwar die zypriotischen Schiffe besiegt, im Überschwang des Sieges und der Verfolgung aber übersehen, dass von Achtern Alexander mit weiteren Schiffen zu Hilfe kam.
Die Hoffnung der Tyrer auf Unterstützung durch die Tochterstadt Karthago erfüllte sich nicht. Die Karthager hatten mit einem Angriff aus Syrakus gerade selbst genug zu tun. So evakuierte man zumindest Frauen und Kinder dorthin, was Alexander auch geschehen ließ. Ansonsten verstärkte man die viereinhalb Kilometer lange Stadtmauer auf bis zu 20 Meter Höhe und hoffte das Beste.
Obwohl es gelang, die tyrische Flotte zu vernichten, die bei einem an sich erfolgreichen Ausfall die zypriotischen Schiffe besiegt hatte, dann aber vergaß, auch mal nach achtern zu schauen, wo Alexander mit Verstärkung heranrauschte, war für diesen klar, dass er mit den bisherigen Mitteln so bald nicht zum Erfolg kommen würde. Durch die Verstärkung und Erhöhung der Mauern blieben trotz des Einsatzes von größeren Belagerungstürmen alle Angriffe vom Damm aus erfolglos. So versuchte er es von der südlichen Seeseite. Kombiniert mit einem Großangriff von allen Seiten hatte diese Taktik schließlich – nach insgesamt sieben Monaten der Belagerung – Erfolg.
Auch diesmal zeigte Alexander keine Gnade, viele tyrische Kämpfer wurden gekreuzigt, die verbliebenen Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft. Nur wem es gelang, in einen Tempel zu fliehen, wurde begnadigt. Dieser Sieg verstärkte Alexanders Ruf, dass ihm alles gelinge, da die Götter auf seiner Seite kämpften. Man erinnerte sich, dass ein so mächtiger Herrscher wie Nebukadnezar II. 250 Jahre vorher das Ansinnen, Tyros zu erobern, nach 13 Jahren Belagerung hatte aufgeben müssen. Neben seinem unbedingten Willen und seinem taktischen Geschick half Alexander auch, dass er neue Waffen einsetzen konnte. Rammböcke, Torsionskatapulte und fahrbare Belagerungstürme gab es zu Zeiten Nebukadnezars noch nicht.
Mäusekrieg mit Sparta
Der Sieg über Tyros war auch der entscheidende Schlag für die persische Flotte im Mittelmeer, die nun kaum noch einen sicheren Hafen fand. Darunter litt das kleine Sparta, das ja gerade dabei war, mit persischer Unterstützung einen anti-makedonischen Aufstand auf dem griechischen Festland zu organisieren. Nun musste der spartanische König Agis III. (gest. 331 v. Chr., reg. 338 bis 331 v. Chr.) ohne Unterstützung der Großmacht agieren. Zwar gelang es ihm, neben vielen griechischen Städten auch Kreta auf seine Seite zu ziehen. Allein, es half nicht, in der Schlacht von Megalopolis in Arkadien wurde Agis 331 v. Chr. von Antipatros vernichtend geschlagen, er selbst kam dabei ums Leben. Folgen dieses »Mäusekrieges«, wie Alexander ihn nannte, war, dass nun auch Sparta fröhliches Mitglied im Korinthischen Bund wurde.
Dareios kriegt kalte Füße
Dareios hatte nun zwei Probleme. Seine Mutter, zwei Töchter und seine Schwester-Ehefrau waren seit Issos in der Gewalt seines Gegners, der von Erfolg zu Erfolg eilte. Zweimal bat er Alexander um einen Friedens- und Freundschaftsvertrag und bot ihm beim zweiten Mal sogar die Herrschaft bis hin zum Euphrat an. Zweimal lehnte Alexander eher brüsk ab. Sofern Dareios ihn als König von Asien anspreche, persönlich komme und seine Oberherrschaft akzeptiere, lasse er gerne mit sich reden.
»Dein Land halte ich als Geschenk der Götter in den Händen. So komme nun auch du zu mir als dem Herrn von ganz Asien! Wenn du kommst, dann magst du die Rückgabe von Mutter, Gattin und Kindern und was du sonst begehrst verlangen und erhalten. Was du erbittest, es wird dein sein. Aber falls du in Zukunft wieder an mich eine Botschaft sendest, so tue dies als an den König von Asien und schreibe nicht wie von Gleich zu Gleich, sondern trage mir als obersten Herrn all deines Besitzes vor, falls du etwas benötigst. Solltest du jedoch die Absicht haben, es auf einen weiteren Kampf ankommen zu lassen, so bleibe an Ort und Stelle, zur Schlacht aber weiche nicht aus. Ich auf jeden Fall werde gegen dich marschieren, wo immer du auch sein wirst.«
Ein gewisses Selbstbewusstsein ist Alexander nicht abzusprechen. Dareios schaute kurz auf die Landkarte, sah, dass er noch immer den Großteil seines Reiches unter Kontrolle hatte, und rüstete sich für die nächste Auseinandersetzung. Dass ihm allerdings schon ein wenig die Knie schlotterten, ist augenfällig. Ein Angebot, das Gebiet westlich des Euphrat freiwillig aufzugeben, macht man nicht aus einer Laune heraus.
Krieg in Gaza
Wir befinden uns im September des Jahres 332 v. Chr. und sehen Alexander aus Tyros auf den Weg nach Ägypten aufbrechen. Auf dem Weg dahin musste er noch die Stadt Gaza erobern, die sich nicht wie alle anderen sofort ergab. Wieder mussten Dämme gebaut werden, wieder wurde erbittert gekämpft, diesmal auch gegen arabische Söldner in den Diensten der Perser. Die persische Flotte brauchte diesen Hafen unbedingt. Es war der letzte, der ihr in der Levante noch geblieben war. Sie musste aber bald lernen, ohne ihn auszukommen. Wieder siegte Alexander. Diesmal dauerte es zwei Monate und zwei Verwundungen. Alexander wurde durch einen Messerstich und einen Katapultpfeil, der sich durch seinen Panzer bohrte, getroffen. Seine mitreißende Art, sich als Vorbild und Motivator in den Kampf zu stürzen, hatte eben auch ihre Risiken. Es war aber alles gut gegangen, die Finanzen konnten durch den Verkauf von Frauen und Kindern in die Sklaverei erneut aufgebessert werden. Die Folge der Eroberung Gazas für die Perser war zum einen, dass die Gewürztransporte aus dem Hinterland nicht mehr verschifft werden konnten. Sie mussten jetzt in Petra zwischengelagert werden, das zu dieser Zeit allerdings erst begann, sich zu der beeindruckenden Felsenstadt zu entwickeln, die wir heute bewundern. Seeseitig hatte die Flotte des Großkönigs nun auch den letzten Hafen an der Levanteküste verloren. Sie war ohnehin geschwächt, da die phönizischen Kontingente nicht mehr zur Verfügung standen.
Rollback in der Ägäis
Mit den Geldern, die Alexander unterwegs erbeutet hatte, wurden er nicht nur seine Soldaten bezahlt, er baute auch eine eigene Flotte auf. Ab dem Frühjahr 332 v. Chr. konnte er daran gehen, die von den Persern besetzten Inseln Stück für Stück wieder zurückerobern zu lassen. Seinen Admiralen Hegelochos (gest. 331 v. Chr.) und Amphoteros (gest. nach 331 v. Chr.) gelang dies ohne größere Probleme, auch das von Sparta besetzte Kreta fiel. Die Strategie Alexanders, sich den Rücken freizuhalten, ging also zu Land und zur See auf.
Auf nach Ägypten
Das nächste Ziel war Ägypten, wo er als Befreier aus dem persischen Joch schon sehnlichst erwartet wurde. Im Vergleich zu den Anstrengungen, die notwendig waren, um Tyros und Gaza zu bezwingen, war die Eroberung Ägyptens ein Spaziergang. Die Perser waren verhasst. Sie hatten sich gegenüber den ägyptischen Göttern und ihren Priestern und Tempeln nicht sehr ehrfurchtsvoll verhalten, damit macht man sich keine Freunde. Nun waren auch die Truppen und der Statthalter abgezogen worden, um bei Issos gegen Alexander zu kämpfen. Der neue Satrap des Großkönigs hatte also nichts in der Hand, um das Land zu verteidigen, und ließ Alexander kampflos nach Ägypten einziehen. Der machte es geschickter als die Perser und opferte den ägyptischen Königen, im Gegenzug krönten ihn die Priester zu Pharao. »Auserwählt von Re, geliebt von Amun« lautete sein Thronname, oder auf ägyptisch Meri-Amun-setep-en-Re. Keine Sorge, wir bleiben bei Alexander.
Da es keine Schlachten und keinen Widerstand gab, können wir von seinem Ägyptenaufenthalt, der bis Mai 331 v. Chr. dauerte, nur berichten, dass er Alexandria gründete, die spätere Metropole der Wissenschaft mit der berühmten Bibliothek und dem Leuchtturm. Und er zog 400 Kilometer in die Wüste zur Oase Siwa, wo es ein berühmtes Orakel gab. Was Alexander von diesem erfuhr, blieb allerdings geheim. Es muss für ihn ein beeindruckender Aufenthalt gewesen sein, da er bestimmte, später in Siwa bestattet zu werden. Nach seiner Rückkehr begann er mit der Organisation seines weiteren Feldzugs. Zunächst ging es zurück nach Tyros.
Das nächste Mal ist dann Persien dran.