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(57) Alexander in Persien

Erst nach Osten, dann nach Norden

Nach seinem Aufenthalt in dem leicht gewonnenen Ägypten kehrte Alexander nach Tyros zurück und befahl dort den Wiederaufbau der Stadt. Gut 15.000 Soldaten trafen aus Makedonien ein und verstärkten das Heer. Mit nun insgesamt knapp 50.000 Mann, davon 7.000 beritten, wandte er sich nach Nordosten, um sein Dareios gegebenes Versprechen einzulösen, gegen ihn zu marschieren, wo immer er auch sei. Nach der Überquerung des Euphrat war das südlich gelegene Babylon das nächste logische Ziel. Auf dem Weg dorthin hatten jedoch die Perser unter Führung des Satrapen Mazaeus (385 bis 328 v. Chr.) Stellung bezogen. Alexander scheute diese Schlacht. Er wollte Dareios stellen und sich nicht mit irgendwelchen Subalternen abgeben. Dareios hatte seinerseits mit der Aushebung einer großen Streitmacht im nördlich gelegenen Assyrien begonnen. Also ließ Alexander Babylon Babylon sein, überquerte im September 331 v. Chr. den Tigris und suchte das Heer des persischen Großkönigs. 

 

Dareios' Ende

Am 20. September 331 v. Chr. kam es zu einer Mondfinsternis. Vor gut 250 Jahren hatte im Jahr 585 v. Chr. eine Sonnenfinsternis für den Abbruch der Kampfhandlungen zwischen Lydiern und Medern und Frieden gesorgt. Diesmal war es aber eben eine Mondfinsternis und so kam es dann auch anders. In der Schlacht bei Gaugamela, heute Tell Gomel im Norden Iraks gelegen, siegte erneut Alexander gegen Dareios und seine zahlenmäßig überlegenen Truppen. Wieder floh Dareios vor dem über seine rechte Flanke massiv heranstürmenden Alexander. Inwieweit Alexanders grundsätzliche Anweisung an seine Soldaten, sich keine Bärte wachsen zu lassen, für die Schlachterfolge entscheidend war, muss leider offenbleiben. Wenn wir in die Welt schauen, scheint sich diese Idee auf jeden Fall nicht durchgesetzt zu haben.

 

Diese Niederlage bedeutete faktisch das Ende des persischen Großreichs. Formal war erst einmal nur die Satrapie Babylon gefallen, wohin Alexander dann auch zog. Durch das blaue, eigentlich in Berlin zu bestaunende Ischtar-Tor zog er am 21. Oktober 331 v. Chr. in die Stadt. Die jüngeren unter uns werden das Gefühl, wenn die Planungen aufgehen, ab 2037 nach dem Umbau des Museums wieder nachempfinden können. Die Älteren waren sicher schon einmal dort. Wir wünschen allen ein langes Leben, vielleicht klappt es dann ja nochmal.

Alexander herrschte nun in Babylon und ließ sich dort zum König von Asien krönen. Die Stadt wurde verschont, lediglich Bauten, die Griechenlands Erzfeind Xerxes errichtet hatte, ließ Alexander niederbrennen.

 

Und Dareios? War wieder vor Alexander aus einer laufenden Schlacht geflohen. Hatte wieder verloren. Das sah nicht wirklich souverän aus. Er floh nach Medien, einige Anhänger mit ihm. Diese waren sich allerdings im Klaren, dass sie mit Dareios nur noch wenige Blumentöpfe würden gewinnen können. So sah das auch Bessos (gest. 329 v. Chr., reg. 330 bis 329 v. Chr.), ein Verwandter des Dareios und Satrap im nördlich des Hindukusch gelegenen Baktrien. Als Dareios bei ihm aufschlug, wurde der Großkönig nicht freundlich aufgenommen, sondern gefangen gesetzt. Bessos schickte Boten an Alexander und bot gegen die Zusicherung, dass Baktrien nicht erobert werden würde, die Auslieferung des Dareios. Alexander, der die Verfolgung des Großkönigs schon aufgenommen hatte, ließ sich auf einen solchen Deal nicht ein. Bessos zog die Konsequenzen, ermordete im Juli 330 v. Chr. Dareios, nannte sich Artaxerxes V. und floh. Alexander ließ die Leiche Dareios‘ in die Hauptstadt Persepolis bringen und bestatte seinen Gegner in allen Ehren.

 

Alexander als König von Asien

Wie schon in Ägypten zeigte Alexander auch hier großen Respekt vor den Gebräuchen und dem Glauben der einheimischen Bevölkerung. Er versuchte, diese auf seine Seite zu ziehen, um in Folge keinen Unruheherd in seinem Rücken fürchten zu müssen. So machte er Mazaeus, der in Gaugamela noch gegen ihn gekämpft hatte, zu seinem Statthalter in Babylon. Ähnliches geschah in Ekbatana, das ihm vom Satrapen Bisthanes (um 330 v. Chr.), eines Sohnes Artaxerxes III., kampflos übergeben wurden war. Auch dort machte Alexander einen Perser, vielleicht sogar Bisthanes selbst, zum Statthalter von Medien. Neben den machtpolitisch-pragmatischen Gründen, dass die riesigen eroberten Gebiete nicht gegen die Bevölkerung und die eingearbeitete Verwaltung gehalten werden konnten, mag auch eine psychologische Komponente in Alexanders Verhalten eine Rolle gespielt haben. Aus dem vergleichsweise kleinen und und jungen Makedonien kommend beeindruckten ihn die alten Kulturen Ägyptens und Mesopotamiens um so mehr.

 

Insgesamt änderte sich an diesem Punkt der Charakter des Feldzugs Alexanders. Persien war geschlagen, der nach der Befreiung Ioniens zweite Kriegsgrund, die Rache für die Perserkriege, war erfüllt. Alexander schickte die Truppen seiner griechischen Bundesgenossen nach Hause. Er sah sich nicht mehr in erster Linie als Führer der Griechen, sondern als legitimier Nachfolger des Großkönigs. Er ging mit dem Titel »König von Asien« sogar noch weiter, stellte sich damit titelmäßig über die persische Dynastie. Er fühlt sich als der Größte, nicht ganz zu Unrecht, hat bisher doch alles wunderbar geklappt. Es gibt da so ein Wort, Hybris…

 

Alexander suchte und fand die Unterstützung der persischen Adeligen. Persische Truppen wurden in das Heer eingegliedert. Dessen Charakter veränderte sich damit elementar. Eine nicht zu unterschätzende Folge war, dass die makedonischen Krieger sehr damit fremdelten, die Perser, die sie noch vor kurzem bekämpft und geschlagen hatten, nun als Kameraden an ihrer Seite zu finden. Der unbedingte Rückhalt, den Alexander bei seiner Truppe hatte, begann zu bröckeln.

 

Entfremdung

Aber noch folgten sie ihm. Das nächste Ziel war, den flüchtigen Dareios-Mörder Bessos zu finden, der sich ja jetzt als persischer Großkönig Artaxerxes V. ausgab. Für die Perser mochte es ein Rachefeldzug gegen den Königsmörder gewesen sein, für Alexander das Ausschalten eines unbotmäßigen Konkurrenten, für die Makedonen war es ein unnötiger Zug in ein vollkommen fremdes Land. Baktrien und Sogdien, in den heutigen Staaten Afghanistan, Turkmenistan und Usbekistan gelegen, waren ihnen so fremd wie uns heute vielleicht die Südhalbkugel des Mars.

 

Die zunehmende Entfremdung Alexander von seinen Makedonen wird an einem Zwischenfall deutlich. Parmenion, sein ihm seit langem vertrauter, treuer General, der schon unter seinem Vater gedient hatte, war mittlerweile Wortführer der Kritiker geworden, die seine als Anbiederung empfundene Nähe zu den Persern für falsch hielten. Parmenions Sohn wurde aufgrund des wohl nicht ganz falschen Vorwurfs, an einer Verschwörung gegen Alexander beteiligt zu sein, getötet. Danach schickte Alexander einen Boten zu Parmenion nach Ekbatana. Auch der Vater des Verschwörers musste sterben, um einen möglicherweise von ihm initiierten Rachefeldzug zu verhindern. Wir müssen uns nicht anstrengen, um nachzuvollziehen, dass auch diese Tat im makedonischen Heer nicht nur Beifall auslöste.

 

Über den Hindukusch

Die Bessos-Verfolgung ging Alexander strategisch an und nutzte sie, die bisher noch nicht unterworfenen Satrapien des persischen Reiches unter seine Herrschaft zu bringen. Hyrkanien, südlich des Kaspischen Meeres gelegen, fiel, Aria – etwa die heutige afghanische Provinz Herat – ebenso. Dann ging es über den Hindukusch, sicher kein einfacher Weg für ein Heer. Bessos hielt sich in der baktrischen Hauptstadt Baktra auf, wurde aber von den Einwohnern vertrieben, als diese von Alexanders Zug über das Gebirge Wind bekamen. Er floh weiter nach Norden, Alexander hinterher. Nach der beschwerlichen Tour über die Berge ging es nun 75 Kilometer durch die Wüste. Als diese überwunden war, mussten Flöße gebaut werden, um den Fluss Oxus, heute der Amudarja, zu überqueren. Die Soldaten konnten einiges in ihre Tagebücher schreiben.

 

Bessos ging es nun wie Dareios. Jetzt war er der Gejagte und wurde geopfert. Seine Begleiter nahmen ihn gefangen und übergaben in Alexander. Dem Königsmörder wurden Nase und Ohren abgeschnitten, dann durfte Oxyartes (um 325 v. Chr.), ein Bruder des Dareios, der mittlerweile im Gefolge Alexanders mitzog, sich um ihn kümmern. Symbolträchtig wurde Bessos nach Medien an den Ort gebracht, an dem Dareios getötet wurde, und dort gekreuzigt.

 

Probleme in Sogdien

Alexander zog weiter gen Norden in die sogdische Hauptstadt Marakanda, das heutige Samarkand, und nach deren Einnahme weiter bis in den Nordzipfel des heutigen Tadschikistan, wo er in der Nähe der eroberten persischen Grenzfestung Kyropolis im Mai 329 v. Chr. Alexandria Eschatê, das »entfernteste Alexandria« gründete. Heute heißt die Stadt Chudschand. Diese Außenposten wurden auch mit makedonischen Veteranen bevölkert, in Alexandria Eschatê geht man von etwa 5000 Menschen aus, die in aus Lehmziegeln schnell errichteten Häusern wohnen sollten. Manche wurden wohl gezwungen zu bleiben, andere waren froh, nicht weiterziehen zu müssen und hofften auf ein etwas ruhigeres Leben. Viele hatten auf dem bisherigen Feldzug auch Frauen kennengelernt, die vielleicht auch ein Wörtchen mitgeredet haben, als es darum ging, entweder wieder die Stiefel zu schnüren oder ein Häuschen sein Eigen zu nennen. Da der Ort an der nach China führenden Handelsroute lag, war es sicherlich nicht ganz unattraktiv, dort zu leben.

 

Selbst wenn Alexander es gewollt hätte, er konnte nicht noch weiter ins Unbekannte ziehen. Die Sogdier wollten sich nicht damit abfinden, dass die ungeliebte Herrschaft der Perser lediglich durch die des Alexander ersetzt werden sollte, und meuterten. Es dauerte bis 327 v. Chr., bis der Aufstand vollständig niedergeschlagen war. Alexander musste auf Verstärkung warten und in Baktra überwintern. Das gesamte Jahr 328 v. Chr. war von der Verfolgung des Rebellenführers Spitamenes (370 bis 328 v. Chr.) geprägt, der Rückeroberung der abgefallenen Städte und der Bestrafung der Dörfer, die es mit den Aufständischen gehalten hatten.

 

Der Alkohol und seine Folgen

Die Entfremdung Alexanders von »seinen« Makedonen wurde durch ein Ereignis vertieft, das sich im Dezember 328 v. Chr. auf einer Feier anlässlich des absehbaren Sieges gegen die Sogdier ereignete. Man hatte Alexander gerade das Haupt des Spitamenes überbracht, die Rebellion war ihres Anführers beraubt. Auf der Feier wurde getrunken. Alexander war auch hier vorne mit dabei. Übermäßiger Alkoholgenuss auf Feiern war eine seiner großen Schwächen, die seine Affektkontrolle nahe an die Nulllinie brachte. Diesmal bezahlte es Kleitos „der Schwarze“ (etwa 375 bis 328 v. Chr.), einer seiner Generäle, mit dem Leben. Er hatte kritisiert, dass Alexander persische Hofrituale übernommen hatte, und den verstorbenen König Philipp gelobt. Am meisten stieß den Griechen und Makedonen die sogenannte Proskynese auf. Sie mussten sich vor Alexander verbeugen und das Gesicht auf den Boden pressen. Alexander rastete aus, griff sich die Lanze eines Leibwächters – seine eigenen Waffen hatten die Diener wohlweislich im Vorwege bereits weggeräumt, da man seine Unbeherrschtheit in diesen Situationen kannte – und erstach Kleitos. In der Schlacht am Granikos zu Beginn des Feldzugs hatte dieser seinem König noch das Leben gerettet. Auch wenn Alexander die Tat sofort bedauerte, war es doch ein Menetekel seiner Herrschaft.

 

Stück für Stück schwand der Rückhalt Alexanders in der Armee. Er ordnete an, dass 30.000 Perser und Baktrier zu Phalanx-Soldaten auszubilden seien. Dass dies die makedonischen Soldaten nicht gut fanden, hatten wir schon erwähnt. Dass Alexander auch noch seine vermeintliche Geliebte Barsine (etwa 363 bis 309 v. Chr.) mit dem angeblich gemeinsamen Sohn Herakles (etwa 327 bis 309 v. Chr.) vom Hof jagte, weil er die sogdische Prinzessin Roxane (etwa 340 bis 310 v. Chr.) heiraten wollte, mag den Soldaten egal gewesen sein. Schon Barsine war als Tochter Memnons, des Gegners von Halikarnassos, eine Fremde gewesen. Insgesamt nahm die Unruhe jedoch immer weiter zu. Es kam auch zu einer neuerlichen Verschwörung, die Alexander allerdings früh entdeckte und blutig niederschlug. Auch dabei opferte er wieder einige seiner alten Gefolgsleute, so seinen Hofbiographen Kallisthenes (etwa 360 bis 327 v. Chr.).

 

Das nächste Mal sehen wir dann das Ende Alexanders, dass sich ja bereits ankündigt.