Gerüchte
Nach dem Tod eines Menschen wie Alexander ist es nicht verwunderlich, dass Gerüchte über eine Vergiftung auftauchen. Insbesondere dem alten Feldherrn Antipatros wurde unterstellt, dies über seinen Sohn Kassandros (etwa 355 bis 297 v. Chr., reg. 305 bis 297 v. Chr.) eingefädelt zu haben. Dessen Bruder war Mundschenk Alexanders und hätte das Gift, dass Kassandros an den Hof geschickt habe, leicht verabreichen können. Wir erinnern uns, dass Antipatros als Regent Makedoniens über all die Jahre überkreuz mit Alexanders Mutter Olympias lag und dass Alexander erst kürzlich entschieden hatte, ihn in dieser Rolle durch Krateros zu ersetzen und an den Hof nach Babylon zu holen. Daraus mag sich ein Motiv konstruieren lassen. Mittel und Gelegenheit wird es über seine Söhne auch gegeben haben. Auf der anderen Seite gilt, im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden, und so lassen wir Antipatros lieber in Ruhe.
Nach seiner schweren Verletzung im Kampf gegen die Maller war Alexander ja geschwächt. Seine Vorliebe für ausschweifende Feiern ist uns auch schon begegnet. So mag es eine Alkoholvergiftung, ein Virusfieber oder auch Fehlbehandlung von Ärzten gewesen sein, die auf die reinigende Kraft des Weißen Germer, auch als Weißer Nieswurz bekannt, gesetzt haben sollen, ohne dessen Giftigkeit hinreichend zu berücksichtigen. Also doch eine Vergiftung, aber eher unabsichtlich? Wir wissen es nicht.
Alexander wurde – mehr als zwei Jahre nach seinem Tod nach einigem Hin und Her, wir kommen gleich dazu – in Memphis und nicht, wie er es gewünscht hatte, in der Oase Siwa begraben. Wir erinnern seinen Ausflug zu dem dortigen Orakel während seiner Zeit in Ägypten. Nach Fertigstellung eines prächtigen Grabmals wurde sein Leichnam dann nach Alexandria umgebettet. Die genaue Grabstätte ist seit mindestens 1.600 Jahren nicht mehr bekannt. Ob sie durch Menschen oder durch eine Naturkatastrophe zerstört wurde, wissen wir nicht.
Nachfolgeregelung
Was geschah nun mit Alexanders Reich? Seine Mutter lebte noch, seine Hauptfrau Roxane aus Sogdien ebenfalls. Der gemeinsame Sohn Alexander IV. (323/322 bis 309 v. Chr., reg. 323/322 bis 309 v. Chr.) wurde erst nach Alexanders Tod geboren. Herakles, der illegitime Sohn aus der Beziehung mit Barsine, könnte Ansprüche formulieren, genauso Alexanders Schwester Kleopatra. Kandidat war natürlich auch sein geistig zurückgebliebener älterer Halbbruder Arrhidaios (etwa 357 bis 317 v. Chr., reg. 323 bis 317 v. Chr.), den Alexander bei der Ausschaltung potentieller Konkurrenten nach seiner Thronbesteigung verschont hatte.
Die eigentlichen Diskussionen fanden zwischen den Heerführern statt. Der Führer der Phalanx, Meleagros (gest. 323 v. Chr.), hatte sich für Arrhidaios ausgesprochen, Perdikkas (gest. 320 v. Chr.), der die Reiter befehligte, wollte warten, ob die schwangere Roxane nicht einen Sohn gebären würde. Man fand den Kompromiss, dass die Herrschaft zwischen Arrhidaios, der sich dann als König nach seinem Vater Philipp III. nannte, und dem Sohn der Roxane, so es einer würde, geteilt werden solle. Die Herren Perdikkas und Meleagros würden freundlicherweise vorerst die Regentschaft übernehmen. Wir ahnen schnell, dass das eher ein Kompromiss der Sorte »faul« war, und wundern uns daher nicht, dass Meleagros bald nicht mehr lebte. Roxane bekam einen Sohn, der schnell als Alexander IV. gekrönt wurde. Perdikkas sollte für ihn regieren.
Es ist nicht überraschend, dass es mehr Menschen gab, die ein Stück vom Kuchen haben wollten. Eine Halbschwester Alexanders des Großen, Kynane (um 357 bis 322 v. Chr.), legte es darauf an, ihre Tochter Eurydike (um 335 bis 317 v. Chr.) mit Philipp Arrhidaios zu vermählen. Perdikkas sah hierin eine potentielle Beschränkung seiner Freiheiten in der Regentschaft und suchte das zu verhindern. Doch selbst die Ermordung der Kynane konnte die Heirat von Eurydike und Philipp Arrhidaios nicht verhindern. Perdikkas ließ es schließlich geschehen, auch weil das Heer Kynane sehr verehrt hatte und er einen Aufstand scheute. Warum er die Brautmutter meuchelte und nicht, was irgendwie effektiver gewesen wäre, die Braut selbst, können wir ihn nicht mehr fragen.
Die Machtkämpfe und Intrigen um die Herrschaft in den verschiedenen Reichsteilen, Diadochenkriege genannt, zogen sich nach Alexanders Tod über mehr als 40 Jahre hin. Wir machen es schneller. Vielleicht können wir demnächst ja mal eine Netflix-Serie sehen, in der das Mit- und Gegeneinander vertieft dargestellt wird. Game of Thrones ohne Drachen.
Konkurrenten
Neben der Familie Alexanders, die ihren Machtanspruch aus dem Geburtsrecht und verwandtschaftlichen Beziehungen ableiteten, auch Alexanders Mutter Olympias mischte hier kräftig mit, spielten insbesondere die Generale Alexanders die Hauptrolle. Und hier waren dann wieder die Makedonen unter sich. Alexanders Bemühungen, das persische Heer zu integrieren, hatten noch nicht in die oberste Führungshierarchie durchgeschlagen. In der Startaufstellung finden wir also zwei Thronerben, Philipp III. Arrhidaios und Alexander IV. sowie den Reichsverweser Perdikkas, dem Alexander auf dem Totenbett seinen Siegelring gegeben hatte. Meleagros war, wie wir schon wissen, als Konkurrent schnell ausgeschaltet.
Neben den Nachfolgekämpfe untereinander mussten die Kontrahenten auch darauf achten, dass es überhaupt noch etwas zu verteilen gab. Die unterworfenen Völker wollten den Tod Alexanders nutzen, den Aufstand der Griechen, den Antipatros und Krateros niederschlagen konnten, haben wir schon erwähnt. Auch in Thrakien, im kleinasiatischen Kappadokien und im Osten in Afghanistan gab es Erhebungen gegen die makedonische Herrschaft.
Den Aufstand in Kappadokien sollte der einäugige General Antigonos (um 382 bis 301 v. Chr.) niederschlagen, der sich jedoch weigerte. Perdikkas zog, um für Ordnung zu sorgen, von Babylon nach Kleinasien. Antigonos floh nach Makedonien und erzählte dem alten Antipatros, Perdikkas wolle sich zum König aufwerfen. Dies solle bei der Beerdigung Alexanders in Makedonien stattfinden, wohin sich der Zug mit dem Leichnam langsam bewegte. Er kam nie dort an, da Ptolemäus, dem die Verwaltung Ägyptens zugefallen war, im Sommer 321 v. Chr. mit einer Expeditionstruppe den Zug angriff und sich Alexanders Leiche bemächtigte, um sie nach Ägypten zu bringen. Perdikkas folgte ihm, so dass es nicht zu dem eigentlich geplanten Aufeinandertreffen mit Antigonos und Antipatros kam. Die Leiche des großen Königs in seinem Besitz zu haben schien ihm wohl für die Wirkungsmächtigkeit seines Herrschaftsanspruchs bedeutender. Er stand nun also am Nil, auf der anderen Seite sah er die Truppen von Ptolemäus. Die Überquerung des Stroms misslang ihm zwei Mal. Seine Soldaten hatten eigentlich keine Lust auf den Kampf gegen die ehemaligen Kollegen. Sie meuterten, Perdikkas wurde von seinen eigenen Männern getötet.
Einigung
Die Heerführer, jetzt nannte man sie nach dem griechischen Wort für »Nachfolger« Diadochen, trafen sich im Sommer 320 v. Chr. im syrischen Triparadeisos und teilten die Machtbereiche auf. Seleukos (etwa 358 bis 281 v. Chr., reg. 305 bis 281 v. Chr.), der Anführer der Meuterer, die Perdikkas umgebracht hatten, erhielt Babylonien, Antigonos sollte sich um Kleinasien kümmern, er befehligte zudem das Reichsheer. Antipatros blieb in Makedonien, er wurde Nachfolger Perdikkas‘ als Vormund der beiden Könige. Ptolemäus konnte Ägypten behaupten und Lysimachos (um 360 bis 281 v. Chr., reg. 306 bis 281 v. Chr.), der sich bis dato klug zurückgehalten hatte, bekam Thrakien. Alles soweit geregelt? Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt.
Antipatros starb 319 v. Chr. im Alter von 80 Jahren. Damit wurden zwei Stellen frei, die des Herrschers von Makedonien und die des Vormunds. Schwungmoment bekam die Sache durch die Entscheidung, dass er nicht seinen Sohn Kassandros, sondern Polyperchon (394 bis etwa 303 v. Chr.), einen Offizier Alexanders zu seinem Nachfolger in Makedonien bestimmt hatte. Das fand Kassandros nur halbgut und putschte gegen Polyperchon. Unterstützung erhielt er von Antigonos, der seine Chance witterte, den eigenen Machtbereich auszuweiten. In den folgenden Jahren ging es sehr hin und her, mal kämpfte Antigonos gegen Polyperchon, mal mit ihm, je nach aktueller Einschätzung der Gesamtlage.
Mord an Mord
Eine Sache war bald klar, die Abstammung aus der Familie Alexanders war kein Argument mehr. Für diese Klarheit sorgten die entsprechenden Morde, mit denen ausgerechnet Olympias, die Ehefrau Philipps II. und Mutter Alexanders begann. Um die Chancen ihres Enkels Alexander IV. zu erhöhen, ließ sie 317 v. Chr. Philipp Arrhidaios, den geistig behinderten Halbbruder Alexander des Großen ermorden. Dabei wurde im Überschwang auch der Bruder Kassandros‘ getötet, was diesen wiederum doch ein wenig ärgerte, so dass er nun Olympias umbringen ließ. Alexander IV. wurde bei der Gelegenheit gefangen genommen und ein paar Jahre später, 310 v. Chr., zusammen mit seiner Mutter Roxane, der Prinzessin aus Sogdien, vergiftet. Auch die noch lebenden Halbbrüder Alexanders fanden in dieser Zeit einen schnellen Tod, so dass am Ende dieser Phase einmal mehr alles geordnet erschien. Antigonos in Kleinasien und Phönizien, Ptolemäus in Ägypten, Seleukos zwischen Indien und Mesopotamien, Kassandros in Griechenland und Makedonien und Lysimachos in Thrakien, jeder hatte ein Stück vom Kuchen abbekommen. Dabei haben wir allerdings einige der Spieler, die dachten, sie könnten auch eines erhaschen, mit einem Blick auf die Länge der Blogfolge beiseitegelassen.
Das Spiel ging fröhlich weiter. Jeder dachte, er könne noch ein Stückchen vom anderen für sich gewinnen und nutzte vermeintliche Vorteile aus. 301 v. Chr. fiel Antigonos in der Schlacht von Ipsos in Phrygien gegen die Truppen von Seleukos und Lysimachos. Die beiden teilten sich die Beute, das westliche Kleinasien ging an Lysimachos, das östliche an Seleukos, der als der erste seines Namens mit dem Zusatz Nikator, der Sieger, in die Annalen einging. Kassandros herrschte weiter in Griechenland und Ptolemäus in Ägypten, wobei dieser sein Herrschaftsgebiet ein wenig nach Syrien ausgeweitet hatte.
Weiter geht’s. Kassandros starb mit etwa 53 Jahren 297 v. Chr. an Herzschwäche. Lysimachos sah seine Chance und erobert Makedonien. Er hatte mittlerweile eine junge Frau geheiratet, die nun ihren Sohn und nicht dessen Halbbruder aus einer früheren Ehe des Lysimachos auf dem Thron sehen wollte. Lysimachos – vor Liebe blind – konnte seiner Frau diesen kleinen Gefallen nicht verwehren und ermordete seinen eigenen Sohn. Dies brachte Seleukos in Wallung, der sich mit den Freunden des Ermordeten verbündete und Lysimachos angriff. 281 v. Chr. fiel dieser in der entscheidenden Schlacht von Korupedium in Lydien. Seleukos hatte allerdings wenig von diesem Sieg, da er auch alsbald von einem Sohn des Ptolemäus ermordet wurde.
Beruhigung
Die Geschichte nähert sich dem Ende. Überraschenderweise folgte auf Seleukos mit Antiochos I. Soter (etwa 324 bis 261 v. Chr., reg. 281 bis 261 v. Chr.) einer seiner Söhne und herrschte über das riesige Gebiet von Kleinasien über Mesopotamien bis zum Hindukusch. Zwar gab es in Kleinasien ein paar Abspaltungen. In Pergamon im Westen Kleinasiens, das ursprünglich zu Lysimachos‘ Herrschaftsbereichs gehörte, konnte Philetairos (um 343 bis 263 v. Chr.) 281 v. Chr. die Unabhängigkeit erringen, auch weil Lysimachos dort einen großen Teil seiner Kriegsbeute gelassen hatte. Im Norden, am Bosporus und entlang der Schwarzmeerküste gelang dies Bithynien durch geschicktes Lavieren zwischen Lysimachos und den Seleukiden.
Kelten in Kleinasien
Erwähnenswert ist dies auch, da der bithynische König Nikomedes I. (um 300 bis um 255 v. Chr., reg. etwa 278 bis 255 v. chr.) im Jahr 278 v. Chr. 20.000 keltische Söldner vom Stamm der Volker anwarb, um ihn bei der Verteidigung seiner Unabhängigkeit zu unterstützen. Diese waren gerade plündernd auf dem Balkan und in Griechenland unterwegs und fanden die neuen Jagdgründe, die ihnen da angeboten wurden, ganz spannend. Nachdem sie Nikodemes gegen seinen aufständischen Bruder Zipoites II. (um 275 v. Chr.) geholfen hatten, nahmen sie ihr altes Handwerk wieder auf und tourten plündernd durch Kleinasien. Drei Stämme waren unterwegs, die Tolistobogier in Ionien, die Trokmer am Hellespont und die Tektosagen in Phrygien. Schließlich gelang es Antiochos I., sie zu besiegen. Er teilte ihnen feste Wohnsitze zu, die Tektosagen ließen sich beispielsweise im Gebiet um das heutige Ankara nieder. So entstand die Region Galatien in der Mitte Kleinasiens. In der Bibel finden wir auch den Brief des Paulus (etwa 10 v. Chr. bis 60 n. Chr.) an die Galater. Noch im Jahr 400 n. Chr. werden dort keltisch sprechende Völker erwähnt.
Was bleibt?
In Griechenland setzte sich in den folgenden Wirren mit Antigonos II. Gonatas (etwa 320 bis 239 v. Chr., reg. 277 bis 274 und 272 bis 239 v. Chr.) ein Enkel des Antigonos als König von Makedonien durch, dessen Vater Demetrios I. Poliorcetes (337 bis 283 v. Chr., reg. 294 bis 288 v. Chr.) wir frecherweise einfach übergangen haben. Ägypten blieb unter der Herrschaft der Ptolemäer. Wenn Du so willst, unterscheidet sich diese Landkarte nur wenig von der, die vor Alexander dem Großen Gültigkeit hatte. Much ado about nothing?
Nun, nicht ganz. Durch den Zug Alexanders wurde griechische Kultur in der gesamten Region zur Marke. Wir nennen dies Zeitalter heute Hellenismus, weil eben überall eine einheitliche Kultur prägend wurde. Dies ist dann doch eines der bleibenden Vermächtnisse des Alexander, auch wenn er selbst eher von der orientalischen Kultur des Perserreiches fasziniert war.
An dieser Stelle gönnen wir uns noch einen kleinen Einschub, um das Loblied auf Alexandria zu singen. Die berühmte, von den Ptolemäern aufgebaute Bibliothek der Stadt mit in der Spitze wohl über 500.000 Werken ist ebenso wie das Museion genannte Forschungszentrum sicherlich ein herausragendes Beispiel für die Leistungen der hellenistischen Kultur. Hier entstand die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testaments. Die Ptolemäer beschlagnahmten alle eintreffenden Buchrollen, auch solche die als Leihgaben geschickt worden waren und verboten den Export von Papyros. Pergamon, das auch über eine berühmte Bibliothek verfügte, sah sich nach einer Alternative um und kam auf gegerbte Tierhaut. Dem Pergament gab die Stadt auch ihren Namen.
Ein anderes Vermächtsnis Alexanders ist, dass sich künftig viele Feldherren und Staatslenker an seinen Leistungen messen wollten. Wir müssen da nicht an einen unbedeutenden Kunstmaler aus Braunau denken, Napoleon wird solche Gedanken gehabt haben und auch Caesar. Aber damit sind wir etwas weiter westlich in Italien gelandet, wo eine weitere unglaubliche Geschichte begann.
So beschließen wir mit dieser mordsmäßigen Folge das griechische Kapitel und widmen uns ab der nächsten Folge Rom.