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(62) Erste Expansion

Krieg ist ja an sich eine unschöne Sache, kommt dennoch aber immer wieder vor. Gier nach Macht und Reichtum wohnen dem Menschen inne und da machten die Römer keine Ausnahme.

 

Wir haben schon mitbekommen, dass es im römischen Heer der frühen Republik die equites gab, also die berittenen Soldaten, meist reiche Patrizier, die sich Pferd und Ausrüstung leisten konnten. Die gewöhnlichen Fußsoldaten rekrutierten sich vornehmlich aus dem Plebs, also den einfachen Leuten, den Plebejern. Entscheidend war insbesondere für diese die Möglichkeit, in Kriegen Beute zu machen und sich so ein Vermögen aufzubauen, was neben dem sozialen Aufstieg dann irgendwann auch die Umsetzung von politischen Ambitionen ermöglichte.

 

Die Kriege der römischen Republik begannen sofort nach deren Gründung, da der vertriebene König Tarquinius Superbus mit der Unterstützung der Etrusker um die Rückkehr an die Macht kämpfte. Die Republik gewann, hatte aber danach in den umliegenden Ortschaften eher Konkurrenten denn Freunde. Die Eroberung des etruskischen Veji 396 v. Chr. haben wir schon erwähnt. Kurz danach kam der Schock, der noch lange in die römische Geschichte hineinwirken sollte.

 

Keltensturm

In Norditalien wohnten zu dieser Zeit auch keltische Stämme. Mit dem Begriff der Kelten dürfen wir nicht die Vorstellung eines geschlossenen, im Zweifel sogar hierarchisch strukturierten Volkes verbinden. Es handelte sich um viele unterschiedliche sprachlich und kulturell verwandte Volksstämme, deren Verbreitungsgebiet im Westen von Südostengland über Frankreich nach Nordspanien reichte und im Osten sich bis nach Westungarn und Nordkroatien erstreckte. Im Norden reichte es bis in die deutschen Mittelgebirge und im Süden wie gesagt bis in die Po-Ebene. Hallstatt- und La-Tène-Kultur sind berühmte Beispiele keltischen Wirkens.

 

Die im Gebiet der heutigen italienischen Region Marken lebenden Senonen griffen unter ihrem Führer Brennus (frühes 4. Jh. v. Chr.) zu Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr. die Etrusker an. Die Stadt Clusium, das heutige Chiusi, bat die Römer um Hilfe. Diese wollten helfen, kamen aber selbst in Bedrängnis. An der Allia unterlagen sie den Kelten und zogen sich nach Rom auf den befestigten Kapitolshügel zurück. Ob dort 387 v. Chr. wirklich die berühmten Gänse mit ihrem Geschnatter vor einem Überfall der Kelten gewarnt haben, bleibt im Reich der Fabel. Überliefert ist, dass Brennus die übrige Stadt plündern ließ und nur gegen ein Lösegeld von 1.000 Pfund Gold bereit war, abzuziehen. Dass er wirklich mit dem Ausspruch vae victis (Wehe den Besiegten!) sein Schwert auf die Waage geworfen hat, als die Römer ihn beschuldigten, falsche Gewichte zu benutzen, ist eine Legende. Der Spruch hat gleichwohl bis heute überlebt.

 

Angst vor den Kelten prägte in Folge lange die römische Politik. Wir wundern uns nicht, Traumata sind ja keine moderne Erfindung.

Wir springen daher mal ein wenig nach vorne: 284 v. Chr., gut einhundert Jahre nach Brennus' Sieg,  griffen die Senonen unter ihrem Führer Britomaris (um 280 v. Chr.) erneut an und zogen zunächst gegen das mit Rom verbündete Arretium, das heutige Arezzo. Die Römer kamen zu Hilfe, unterlagen aber vor der Stadt. Immerhin gelang es dem Konsul Publius Cornelius Dolabella (amt. 283 v. Chr.) die nun mit den Etruskern verbündeten Kelten, die nach ihrem Sieg mal wieder auf Rom marschierten, am Vadimonischen See in der Nähe der heutigen Stadt Orte, endgültig zu schlagen und aus Italien zu vertreiben. Hierzu zog er zunächst in deren Stammesgebiet, tötete die zurückgebliebenen Kinder, Frauen und Alten, um sich danach dem eigentlichen senonisch-etruskischen Heer zu widmen. Wir müssen nicht alles gut finden, was Erfolg hat.

 

Der Latinische Krieg

Die Angst vor keltischen Übergriffen ging auch bei den benachbarten Latinern um, so dass es 370 v. Chr., also kurz nach Brennus‘ Plünderung, zu einem Bündnis zwischen Rom und Latium kam. Dies hielt jedoch nicht wirklich lange, da die Latiner sich schnell von den Römern bevormundet sahen. Man war mit diesen ja zusammengegangen, um die eigene Freiheit zu erhalten, nicht um sie aufzugeben.

Es ist unklar, ob der Latinische Krieg wirklich ein solcher war. Ausgangspunkt waren wohl einzelne Auseinandersetzungen mit samnitischen Städten, die Rom gemeinsam mit den Latinern in den Jahren 343 bis 341 v. Chr. führte. Dabei empfanden es die Latiner als ungerecht, dass – obwohl die Auseinandersetzung insgesamt eher unentschieden endete – Rom zu Gebietsgewinnen kam, die anderen Städte aber leer ausgingen. So schloss man sich 340 v. Chr. zu einem Bündnis gegen Rom zusammen. Dieser Aufstand konnte von den Römern nur unter Schwierigkeiten innerhalb von zwei Jahren niedergeworfen werden. Aus der unterworfenen Hafenstadt Antium wurden sechs Bugschnäbel von Schiffen nach Rom gebracht und dort zur berühmten rostra, der Rednertribüne auf dem Forum Romanum verbaut.

 

Um künftige Aufstände zu vermeiden, stellten sich die Römer geschickt an. Sie gliederten die besiegten Städte in ihr Staatsgebiet ein und stellten künftig die Latiner in vielen Bereichen, etwa der niederen Gerichtsbarkeit, der kommunalen Verwaltung, aber auch bei der Gründung neuer Kolonien den Römern gleich. Dieses Konzept erleichterte in der weiteren Entwicklung die Integration unterworfener Gebiete, die einen Umfang von gut 6.000 Quadratkilometer hatten. Das ist vergleichbar mit dem Schweizer Kanton Bern oder mit Delaware, dem flächenmäßig zweitkleinsten Bundesstaat der USA. Wir stehen noch sehr am Anfang der Geschichte und es war kaum absehbar, in welchen Größenordnungen diese enden sollte.

 

Samnitenkriege

Das Problem mit den Latinern war also in Roms Sinne gelöst. Man konnte sich wieder den Samniten zuwenden. Das wurde ein schwerer Gang. Die Samnitenkriege dauerten von 326 bis 290 v. Chr. mit zwei Pausen von jeweils fünf bis sechs Jahren zwischen 321 und 316 v. Chr. und 304 und 298 v. Chr.

 

Die erste dieser beiden Pausen resultierte aus einer katastrophalen Niederlage Roms im Jahr 321 v. Chr. in der Schlacht an den Kaudinischen Pässen, zwischen Capua und Benevento beim heutigen Montesarchio gelegen. Der einzige Erfolg der Römer war, dass ihr Heer nicht vollkommen vernichtet wurde. Die Sieger begnügten sich mit Lösegeld und demütigenden Gesten.

 

Auch die Wiederaufnahme fünf Jahre später begann für Rom mit einer Niederlage. 315 v. Chr. siegten die Samniten in der Schlacht von Lautulae. Danach zeigte Rom seine taktische Flexibilität. Mit der klassischen Phalanx kam man in den Bergen Kampaniens anscheinend nicht zum Erfolg. Also gründete man Kolonien und Festungen und kreiste die samnitischen Stützpunkte immer mehr ein. Auch die berühmte Via Appia entstand in dieser Zeit als Versorgungsweg insbesondere zur bereits im ersten Krieg entstandenen Kolonie Capua. Gegen die mit den Samniten verbündeten Etrusker gab es 310 v. Chr. am uns schon bekannten Vadimonischen See auch mal einen Sieg in einer Schlacht, was für die Kampfesmoral und den Durchhaltewillen ja durchaus wertvoll sein kann.

 

Das systematische Einkreisen mit Garnisonen zeigte über die Jahre Erfolg. 305 v. Chr. eroberten die Römer die samnitische Hauptstadt Bovianum, das heutige Bojano in den Apenninen. So kam es 304 v. Chr. zum Friedensschluss, der Roms Position in Mittelitalien stärkte. Man übernahm auch den kurzen Spieß, das pilum, mit dem die Samniten so erfolgreich gekämpft hatten und gliederte das Heer um. Aus der geschlossenen Schlachtreihe der Phalanx wurden die Manipel, kleinere Einheiten, mit denen sich der Schlachtverlauf sehr viel flexibler und den örtlichen Gegebenheiten angemessen gestalten ließ. Den Samniten ließ man ihre Selbständigkeit. Wir wissen ja schon, dass es sich nicht um einen ewigen Frieden, sondern nur eine Pause bis zum nächsten Samnitischen Krieg handelte.

 

Diese Pause benötigte Rom auch dringend, da mittlerweile die Sabiner, die Marser und die Pälinger aufmüpfig geworden waren. Auch diese Stämme konnten besiegt werden, auch dieses Mal ging es nicht von heute auf morgen. 298 v. Chr., als man sich wieder mit den Samniten beschäftigen musste, waren die Kämpfe noch nicht beendet. Der laufende Konflikt und die erneute Erhebung der Samniten gingen ineinander über, so dass man eigentlich von einem gesamtitalienischen Krieg sprechen kann. Die Etrusker und Kelten im Norden mischten genauso mit wie die Samniten und die in der heutigen Basilikata lebenden Lukaner im Süden. In der Schlacht von Sentinum, dem heutigen Sassoferrato, siegte Rom 295 v. Chr. in einer großen, entscheidenden Schlacht und hatte damit zumindest im Norden ein wenig Ruhe. Die Senonen wurden ja erst zehn Jahre später wieder aktiv.

 

Im Süden wählte man die gleiche Taktik, die bereits zuvor erfolgreich war, und baute sie aus. In Venusia wurde eine starke Garnison errichtet. Auch diesmal zeitigte dieser Weg Erfolg, irgendwann war die Kraft der Samniten und ihrer Verbündeten aufgebraucht, genauer gesagt 290 v. Chr.

 

Nun war im Süden Ruhe, da ging es im Norden wieder los, wir haben darüber gesprochen. In den Folgejahren wurden widerspenstige etruskische Städte erobert, die sich in Teilen aber lange halten konnten, Volsinii beispielsweise bis 264 v. Chr.

Rom war also stets im Konfliktmodus und baute Hölzchen auf Stöckchen seine Vorherrschaft in Mittelitalien aus. Hinreichend Möglichkeiten, auch für Plebejer, sich zu bewähren und aus den siegreichen Schlachten auch Beute zu machen, die wiederum politisch eingesetzt werden konnte.

 

Und es ging weiter mit den Kämpfen.

 

Pyrrhus' Siege

Der Schwerpunkt verlagerte sich wieder in den Süden nach Unteritalien, das insbesondere an den Küsten von griechischen Städtegründungen beherrscht wurde. Der Konflikt entzündete sich 282 v. Chr., als römische Schiffe in den Golf von Tarent einliefen, was ihnen eigentlich aufgrund von Verträgen untersagt war. Normalerweise wäre das sicher kein Kriegsgrund gewesen, dieses Mal nutzte Tarent die Gelegenheit. Rom hatte nach dem erfolgreichen Abschluss der Samnitischen Kriege und der Ausweitung seines Machtbereiches weiter gemacht und war durch die Unterstützung kalabrischer Ortschaften, unter anderem von Rhegium, dem heutigen Reggio, bereits in die Interessensphäre Tarents eingedrungen. Dem galt es einen Riegel vorzuschieben. Man vernichtete also die römischen Schiffe und ließ es auf einen Konflikt ankommen.

 

In Tarent war nicht jeder von der Klugheit dieser Konfrontation überzeugt, die Feinde Roms setzten sich jedoch durch. Um überhaupt eine Chance gegen das gewachsene und kriegserprobte Rom zu haben, gebrauchte es Hilfe und die sollte aus Epirus in Westgriechenland kommen. Dort herrschte Pyrrhus I. (etwa 319/18 bis 272 v. Chr., reg. 297 bis 272 v. Chr.), der die Chance sah, so zum Herrscher von Süditalien und damit über alle Westgriechen werden zu können. Er fuhr also mit 20.000 bis 30.000 Soldaten, darunter 3.000 Reitern und gut 20 Kriegselefanten nach Italien. Die Römer stellten ihm ein etwa doppelt so großes Heer entgegen – und unterlagen 280 v. Chr. bei Heraclea im Westen von Tarent. Es war das erste Mal, dass sie einem gut ausgerüsteten Heer gegenüberstanden, das von einem erfahrenen Feldherrn befehligt wurde.

 

Pyrrhus dachte, die Sache hätte sich damit erledigt und schickte seine Friedensbedingungen an den Tiber. »We are not interested in the possibilities of defeat; they do not exist«, sagte einst Queen Victoria (1819 bis 1901, reg. 1837 bis 1901) und Ähnliches teilten die Römer wohl Pyrrhus mit. Hier zeigte sich wieder die stoische Beharrlichkeit und Zielorientierung, die aus Rom am Ende eine Weltmacht werden ließ.

 

Auch die zweite Schlacht bei Ausculum, südlich von Foggia gelegen, gewann im Folgejahr Pyrrhus. In beiden Schlachten verlor er aber viele Kämpfer, weniger als die Römer zwar, aber diese konnten sich zu Hause und bei den Bundesgenossen erholen. Selbst Karthago schickte Hilfstruppen, um zu verhindern, dass Pyrrhus das von ihnen kontrollierte Sizilien eingemeindete. Pyrrhus Hoffnung, dass sich die Stämme Unteritaliens auf seine Seite schlagen, trog dagegen. Sein Ausspruch »Noch ein solcher Sieg und wir sind verloren« machte den Pyrrhussieg zum Sprichwort.

 

Dass er kein Schlechter war, mussten die Karthager in den nächsten Jahren erleben. Zwischen 278 und 275 v. Chr. eroberte Pyrrhus ganz Sizilien. Ganz Sizilien? Nein, das unbeugsame Lilybaion, heute das durch seinen Wein bekannte Marsala im äußersten Westen der Insel, hielt stand. Ganz ohne Zaubertrank – oder war es vielleicht der Wein? Auch hier schaffte es Pyrrhus nicht, die einzelnen Städte unter seine Herrschaft zu zwingen, zu zerstritten waren sie untereinander. Manche einigten sich lieber separat mit Karthago, um der Gefahr einer Herrschaft des griechischen Königs zu entgehen.

 

So kehrte Pyrrhus auf das Festland zurück, wo es 275 v. Chr. zu einer letzten Schlacht mit den Römern kam. Diese endete bei Maleventum, zwischen Foggia und Neapel gelegen, unentschieden, was faktisch als ein Erfolg der Römer zu werten ist. Aus Maleventum wurde dann auch Beneventum, das heutige Benevento. Pyrrhus sah, dass er gegen die Römer aufgrund der fehlenden Unterstützung im Land keinen Erfolg haben würde und zog sich nach Epirus zurück. 272 v. Chr. starb er der Überlieferung nach durch den Steinwurf einer Frau. Ein profanes Ende einer spannenden Karriere.

 

Rom hatte keine Schlacht gegen Pyrrhus gewonnen, aber den Krieg. Tarent wurde in Folge auch erobert und die Stadt am Tiber herrschte über Italien von der Poebene bis zur Stiefelspitze. Nicht schlecht. Das System der Bundesgenossen mit klarer Vormachtstellung Roms hatte sich bewährt. Um 225 v. Chr. herrschte Rom über etwa sieben Millionen Menschen, 273.000 davon waren waffenfähige römische Bürger, etwa 500.000 Soldaten wurden von den Bundesgenossen gestellt, die noch nicht das römische Bürgerrecht besaßen.

 

Die Römer hatten eine ungeheure Zähigkeit entwickelt, sich auch in scheinbar ausweglosen Situationen zu behaupten. Sie hatten gelernt, dass Krieg langfristig zum Erfolg führt, und durch ihre Verfassung wurden Krieg und Expansion auch in den folgenden Jahrhunderten gefördert. Dass Kriegsbeute für Plebejer eine Chance auf sozialen Aufstieg war, haben wir schon erwähnt. Für die Patrizier war Erfolg im Krieg eine Frage der Ehre und damit essentiell für die Stellung der Familie im Staat. Jeder Konsul wollte in die Annalen Roms als erfolgreicher Staatsmann und Feldherr eingehen. Das ging nur, wenn es Auseinandersetzungen zu gewinnen gab. Das gesamte Staatswesen war also durch die Historie der ersten 300 Jahre seiner Geschichte auf Wachstum und kriegerischen Erfolg gepolt. Damit unterschied sich Rom essentiell von seinem Verbündeten im Krieg gegen Pyrrhus, Karthago. Konnte das gutgehen? Auf Dauer nicht, einer von beiden würde sich durchsetzen müssen.

 

Wir schauen uns also erst einmal dieses Karthago ein wenig näher an.