Karthago war lange die führende Wirtschaftsmacht im westlichen Mittelmeer und beobachtete den Aufstieg und Machtzuwachs Roms naturgemäß mit zunehmendem Misstrauen. Über hundert Jahre sollte die Auseinandersetzung beider Mächte dauern, die am Ende nach drei Kriegen die unangefochtene Machtstellung Roms im westlichen Mittelmeer für die nächsten mehr als 500 Jahre begründete. Grund genug, uns dieses Karthago einmal näher anzuschauen.
Karthago … oder was?
Wenn wir heute von Karthago sprechen, so ist das eigentlich nicht ganz korrekt. Richtiger wäre Qrt Hdst. Probiere es ruhig mal! Geht nicht? Ist Qart Hadasht besser? Ja, aber Du hast gar keinen Schnupfen? Konveniert Karchedon mehr? Ich weiß, Du hast keinen Schnupfen. Also doch Karthago? Na gut.
Was dieser Unfug soll? Nun, Karthago ist, wie wir wissen, eine phönizische Gründung und die Phönizier sprachen, oder besser: schrieben, nun mal so. Der Vokalreichtum der hebräischen und arabischen Schrift ist ja auch heute berühmt. Qrt hdst, das heißt nichts weiter als »Neue Stadt«. Griechen und Römer waren auch nicht so fit im Phönizischen und versuchten es mit lautmalerischen Umschreibungen, die Griechen mit Karchedon, die Römer mit Karthago.
Wenn wir diese Stadt heute als Karthago in der Erinnerung haben, sollte uns dies vorsichtig machen: Karthago ist die Bezeichnung der Sieger. Viele der Quellen, auf die sich die Wissenschaft heute stützen muss, sind nicht über Karthago geschrieben, sondern gegen Karthago. Das dem älteren Cato (234 bis 149 v. Chr.) zugesprochene »Ceterum censeo Carthaginem delendam esse« haben wir quasi noch in den Ohren. Aber dennoch werden wir bei der Bezeichnung Karthago bleiben, der Gewohnheit folgend und nicht dem Anspruch, eine 2.200 Jahre alte Geschichte noch umschreiben zu wollen. Und außerdem hast Du ja (hoffentlich) keinen Schnupfen.
Dass wir über den Untergang Karthagos mehr wissen als über die Zeit davor, ist in selbigem begründet. Der spannende Kampf mit Rom ist heute vor allem aufgrund des alle überragenden, letztlich aber tragisch scheiternden Helden Hannibal Barkas (um 247 bis 183 v. Chr.) Stoff für Filme und spannende Jugendbücher. Mit dem Buch "Ich zog mit Hannibal" von Hans Baumann begann vor vielen, vielen Jahren auch mein Interesse für Geschichte. Den meisten von uns ist der Alpenübergang mit den Elefanten noch irgendwie in Erinnerung, das ist ja immerhin schon mal etwas. Mal sehen, ob wir nicht doch noch etwas mehr herausfinden können.
Stadtgründung und Aufstieg
Karthago soll im Jahre 814 v. Chr. von Phöniziern aus Tyros gegründet worden sein. Diese Angabe ist – anders als bei Rom – sehr präzise. Archäologen halten die Zeitspanne zwischen 825 und 813 v. Chr. für wahrscheinlich. Die Phönizier waren in dieser Zeit die Herren des Handels im Mittelmeerraum. Sie unterhielten eine Vielzahl von Handelsstützpunkten, teils am Rand bestehender Städte, teils jedoch auch durch Neugründungen an geschützten Orten. Diese waren – anders als die griechischen Kolonien – ihren Mutterstädten tributpflichtig, Karthago also gegenüber Tyros. Karthago muss allerdings von Anfang an eine Sonderrolle gespielt haben, denn es wurde in großer Nähe zu einem bereits bestehenden Stützpunkt namens Ityke gegründet und war mit einer Fläche von 55 Hektar bereits zur Gründungszeit verhältnismäßig groß. Das klingt im Vergleich zu unseren Städten nicht übermäßig weitläufig, ist aber immerhin doppelt so groß wie der Kreml in Moskau oder der Jardin des Tuileries in Paris - für eine Stadtgründung vor 2850 Jahren, 700 Kilometer Luftlinie von der Heimat entfernt nicht so schlecht.
Die Ortswahl war auf Wachstum angelegt, auch Befestigungs- und Hafenanlagen waren leicht zu errichten. Vielleicht war es als Fluchtburg gedacht, in die man sich gegebenenfalls zurückziehen könnte, wenn etwa das mächtige Assur den phönizischen Städten den Garaus machen wollte. Knapp 100 Jahre später, zur Zeit Tiglatpilesars III. (reg. 745 bis 727 v. Chr.) kam es auch zu einem solchen Konflikt, allerdings ohne dass die Menschen Tyros in Richtung Karthago verließen. Als Alexander noch viel später, 332 v. Chr., Tyros belagerte, wurde ein Großteil der Frauen und Kinder nach Karthago evakuiert. Wir erinnern uns dunkel.
Diese Schwächung der Mutterstadt durch den Angriff der Assyrer nutzte Karthago eher zu einer zunehmenden Verselbständigung, denn zu konkreter Hilfeleistung. Es orientierte sich nach Westen, Norden und Süden und überließ den Osten des Mittelmeeres den phönizischen Städten. So kam es mit der Mutter nicht ins Gehege und konnte einen originären eigenen Machtbereich aufbauen. Im westlichen Mittelmeer kam Karthago zunehmend die Rolle zu, die Handelsaktivitäten aller phönizischer Stadtstaaten zu koordinieren. Die eigenen Bücher werden darunter nicht gelitten haben. Die alte Doppelkopfregel »Wer schreibt, der bleibt« galt aller Wahrscheinlichkeit nach auch hier.
Bevor wir uns jetzt richtig auf die bewegte Geschichte Karthagos stürzen, wollen wir noch kurz innere Einkehr halten und auf die Struktur des karthagischen Gemeinwesens schauen.
Staat und Gesellschaft
Auch wenn es Karthago gelang, einen ziemlich großen Einfluss- und Machtbereich aufzubauen, war es doch kein machtorientierter Staat, wenn wir Macht als unmittelbare Herrschaft über andere interpretieren. Wichtig war, die Handelswege zu kontrollieren und am Handel zu verdienen. Für die Kontrolle waren Streitkräfte ganz hilfreich, und eine gewisse Substanz z. B. an Bodenschätzen wollte man auch gerne sein eigen wissen. Darüber hinaus reichte es jedoch aus, in Frieden und ungestört dem Wirtschaftsleben zu frönen.
Karthago war zwar eine Republik, jedoch kein demokratischer Staat. So etwas wie Gewaltenteilung war ein Fremdwort. Die beiden an der Spitze stehenden sogenannten Sufeten waren sowohl die höchsten Richter, die obersten Chefs der Polizei als auch entscheidende Verfahrensträger der Gesetzgebung. Häufig waren es jeweils zwei, es können aber auch in einzelnen Jahren mehr gewesen sein. Die Sufeten wurden jedes Jahr von der Volksversammlung gewählt. Sie saßen dem Rat vor, der sich aus Mitgliedern der Aristokratie zusammensetzte und die eigentliche Machtzentrale darstellte, vergleichbar vielleicht mit dem Senat in Rom. Daneben gab es noch eine Reihe von weiteren Gremien, z. B. einen »Rat der Einhundertvier«, so etwas wie ein Staatsgerichtshof, vor dem sich beispielsweise nach Beendigung von Kriegen die Feldherren zu verantworten hatten.
Doch wir schreiben hier ja keine Verfassungsgeschichte. Wichtig ist lediglich, dass die Macht in Karthago in der Hand der vornehmen Familien lag und – trotz relativ starker Sufeten – in einem vermutlich sehr fein austarierten Gleichgewicht von unterschiedlichen Gremien strukturiert war.
Sicherlich gab es Sklaven, wenn auch vermutet werden kann, dass auch hier die Karthager weniger an direkter, formaler Machtausübung interessiert waren, denn an einer wirtschaftlichen Abhängigkeit. Sklaven waren eher Handelsware, die Bediensteten konnten durchaus freie Metöken gewesen sein.
Auch auf das Amt des Hüters der Moral wollen wir hier jetzt nicht eingehen. Wäre vielleicht auch gar nicht so spannend, von »Zuständen, wie im alten Karthago« ist zumindest nichts überliefert.
Außenpolitik
Karthago war wie gesagt eine phönizische Gründung. Die Herrschaft lag daher in den Händen der phönizischen Einwanderer. Die Ureinwohner, Libyer und Numider, standen in der Rangordnung niedriger. Dazwischen stand eine Schicht von »Bundesgenossen«, z. B. die Einwohner anderer libyscher Gründungen Phöniziens. Es gelang Karthago nie, einen vernünftigen Ausgleich mit den einheimischen nordafrikanischen Völkern zu erreichen. Ein Versäumnis, dass sich im »Endkampf« mit Rom rächen sollte.
Die Bindung der Bundesgenossen im Einflussbereich Karthagos war durch Tributzahlungen geregelt, manchmal wurden auch Geiseln genommen. In die interne Selbstverwaltung der Staaten griff Karthago jedoch in der Regel nicht ein. Dies war zwar vorteilhaft, weil es ein sehr einfaches System war, solange es funktionierte. In Krisenzeiten jedoch waren die Bundesgenossen auch sehr schnell bereit, die Fronten zu wechseln. Eine innere Annäherung an Karthago, ein punischer Kulturkreis sozusagen, der von mehr als nur Karthago selbst getragen wurde, konnte auf diese Weise nicht entstehen. Punier ist übrigens die römische Bezeichnung für die phönizisch-stämmigen Karthager.
Militärwesen
Ein großes Heer oder eine übermächtige Marine benötigte Karthago nach eigenem Selbstverständnis eigentlich nicht. Handel stand im Mittelpunkt, nicht Eroberungen. Nun ist die Welt aber so, wie sie ist, und aus diesem einleuchtenden Grund wurde es auch für Karthago unumgänglich, militärische Macht aufzubauen, um zu verhindern, dass Libyer, Etrusker oder Griechen die Handelswege bedrohten. Die Karthager waren Kaufleute. Ein ständiges, stehendes großes Heer zu unterhalten, war den punischen Handelsherren viel zu teuer. Günstiger erschien es, sich für einzelne Kriegszüge Söldner zusammenzukaufen, die man hinterher buchstäblich wieder in die Wüste schicken konnte. Karthago beschränkte sich darauf, eine gewisse militärische Infrastruktur aufrecht zu erhalten: ein Offizierskorps, einsatzfähige Schiffe, ausgestattet mit Ruderern und Besatzung, und auch ein kleines militärisches Aufgebot, die sogenannte »Heilige Schar«, etwa 2.500 Mann umfassend. Hinzu kamen dann je nach Bedarf Truppen der Bundesgenossen und gekaufte Söldner.
Neben der Marine, die relativ frühzeitig zum Schutz der meist ja auf dem Wasserweg verlaufenden Handelsrouten aufgebaut wurde, bestand die karthagische Militärmacht im Wesentlichen aus Fußsoldaten. Die Kavallerie wurde durch numidische und später iberische Reiterei gebildet, ab 262 v. Chr. finden wir Kriegselefanten im Einsatz. Glanzstück war jedoch zunächst die Marine, bestehend aus bis zu 200 Schiffen mit drei bis fünf Ruderreihen (Triere, Tetrere, Pentere). Manchmal ändern sich die Dinge, wie wir noch sehen werden.
Der Feldherr wurde von der Volksversammlung gewählt, er konnte seinen Stab und seine Unterführer jedoch selbst bestimmen. Nach dem Feldzug musste sich der Feldherr vor dem Rat der Einhundertvier rechtfertigen. Dies sollte dazu dienen, dass keiner die Macht missbrauchte und sich zum Diktator aufschwänge. Und es ging nicht immer gut aus, der ein oder andere der Generäle wurde schon mal zum Tode verurteilt. Misserfolg war hier natürlich ein Grund, aber häufig auch die Verschwendung von Mitteln, d. h. ineffektive Kriegsführung. Und bei Geldverschwendung lassen Kaufleute nicht mit sich spaßen.
Wirtschaft
Bei der Beschreibung einer Handelsrepublik müsste natürlich einem Kapitel »Wirtschaft« zentrale Bedeutung zukommen. Doch wir verstehen unseren Streifzug durch die Geschichte ja doch eher als an der politischen Geschichte orientiert und werden daher hier – wie auch sonst – das Wirtschaftsgeschehen eher nur streifen. Die Diskussion der Stellung des Kalbskastrators in der punischen Gesellschaft bleibt damit folgenden Doktorarbeiten überlassen. Also in aller Kürze: Auch wenn wir bei Nordafrika nicht unbedingt daran denken, gab es doch aufgrund einer noch deutlich freundlicheren klimatischen Gesamtsituation eine florierende Landwirtschaft, Fischerei – bei einem seefahrenden Volk wenig überraschend – und auch produzierendes Gewerbe, hier wohl vor allem in der Textilmanufaktur und der Gold- und Silberschmiedekunst. Überragend war jedoch der Handel. Reeder oder Bankier, das war wohl der Beruf des wohlhabenden Karthagers. Schade, dass es Hamburg noch nicht gab, die beiden hätten sich sicher gut verstanden. Dabei liefen nicht alle Handelsrouten über Karthago. Über Steuern und andere Regelungen waren die punischen Handelsherren aber immer in der Lage, in ihrem Einflussbereich, also dem westlichen Mittelmeer, vorzugeben, wie die Sache zu laufen hatte.
Berühmt war die Hafenanlage Karthagos, deren Überreste sich noch heute in dem Vorort von Tunis erkennen lassen, der auf den Ruinen Karthagos steht. Hinter einem »normalen« rechteckigen Hafenbecken für die Handelsschifffahrt gelangte man zu dem rund angelegten Kriegshafen mit Platz für 220 Galeeren und in der Mitte auf einer Insel dem Sitz der Admiralität.
Wie die karthagische Währung hieß, ist ungewiss. Lange kam Karthago ohne Münzprägung aus. Bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. wurde mit kleinen Lederbeuteln bezahlt, die mit einem Regierungsstempel versehen waren, eine Art Kreditgeld.
Religion
Mindestens aus der Bibel kennen wir ihn: Baal. Der Gott der Phönizier, gegen den sich in Palästina der jüdisch-christliche Glaube durchsetzen musste, war natürlich auch Hauptgott der Karthager. Aber auch andere Mitglieder des Pantheons sind uns zumindest dem Namen nach vertraut, allen voran Moloch, der auf Kinderopfer bestand. Ein fürchterlicher Zug der Karthager, auch wenn es vielleicht nur alle 25 Jahre vorkam. In Melkart sollen sich beide als Symbole der wohltätigen (Baal) und verderblichen (Moloch) Macht des Himmels vereinigt haben.
Wir wollen das nicht näher untersuchen. Die Karthager waren trotz der Kindesopfer grundsätzlich Pragmatiker, die sich im Wesentlichen durch wirtschaftliche Interessen leiten ließen, nicht durch religiöse Vorstellungen. Auch wenn man mit Recht sagen kann, wer seine Kinder opfert, ist nicht frei davon. Für die Geschichte der Stadt Karthago war der Glaube ihrer Einwohner nachrangig.
Das nächste Mal schauen wir dann, wie Karthago seine Macht im Westen ausbaute.