Aus Octavian wird Augustus
Am 16. Januar 27 v. Chr. verlieh der Senat Octavian den Ehrennamen Augustus, »der Erhabene«, unter dem wir ihn als ersten in der Liste der römischen Kaiser kennen. Seinen Namen hören wir jedes Jahr in der Kirche beim Verlesen der Weihnachtsgeschichte. Aber er hätte sicherlich auch sonst nicht das Problem, in Vergessenheit zu geraten.
Am 13. Januar hatte er ja formal auf alle Macht verzichtet. Der Schritt war natürlich abgesichert. Am 16. Januar bekam er nicht nur einen zusätzlichen Namen, unter dem wir ihn jetzt auch weiterhin ansprechen wollen. Der Senat bat ihn auch, die Führung in den zehn der insgesamt zwanzig Provinzen zu übernehmen, in denen die größten Teile des Heeres stationiert waren. Dafür wurde er mit dem imperium proconsulare, also der Amtsgewalt eines Prokonsuls ausgestattet, wie sie ehemalige Konsuln ("Prokonsuln") seit jeher hatten. Faktisch war er damit den Statthaltern vor Ort übergeordnet. Zudem ließ sich Augustus wie schon in den Jahren seit 30 v. Chr. weiterhin bis zum Jahr 23 v. Chr. jedes Jahr zum Konsul wählen, so dass er mit dem Heer, den reichen Provinzen und dem Führungsamt in Rom sämtliche Machthebel in der Hand hielt, ohne dass er die republikanische Verfassung außer Kraft setzen musste.
Noch gibt es Widerstände
Natürlich hakelte es hie und da. Der Statthalter in Ägypten, Gaius Cornelius Gallus, ließ beispielsweise Statuen seiner eigenen Person aufstellen. Bald danach war er nicht mehr Statthalter, sein Vermögen wurde eingezogen. Er nahm sich daraufhin das Leben. Eine gewisse Konsequenz kann man den Menschen seinerzeit nicht absprechen. Auch wenn er entmachtet war, achtete der Senat dennoch peinlich darauf, dass sich Augustus an die formellen Regeln hielt, und war immer in Sorge, er könne sich nicht mehr princeps, sondern rex nennen.
Befördert wurde dieses Misstrauen auch dadurch, dass Augustus seine Frau Livia nicht nur als Beraterin nutzte. Gebäude wurden nach ihr benannte, Statuen von ihr aufgestellt. Auch weitere Mitglieder der Familie profitierten. Augustus berief für das Jahr 24 v. Chr. seinen Schwiegersohn Marcus Claudius Marcellus (42 bis 23 v. Chr.) zu dem Ädilen, der für die Ausrichtung der Spiele verantwortlich ist. Das war ein sehr prestigeträchtiger Posten, mit dem man beim Volk viele Punkte machen konnte. Das nährte den Verdacht, dass hier ein Nachfolger aufgebaut werden soll, dass eine Dynastie drohe. Im Jahr 23 v. Chr. verschwörte man sich. Die Identität der Beteiligten ist leider von so vielen Annahmen und Vermutungen durchzogen, so dass wir an dieser Stelle vorsichtshalber auf Namen verzichten. Die Verschwörung wurde zudem verraten, die Verschwörer verurteilt und hingerichtet. Soweit alles gut. Nicht für Augustus. Dass man sich verschwört, war ein Warnsignal für ihn. Dass bei der Verurteilung einzelne Richter für einen Freispruch stimmten, verstärkte dieses Misstrauen noch.
Das Prinzip des Prinzipats
Augustus reorganisierte das Machtgefüge. Ab 22 v. Chr. ließ er sich nicht mehr zum Konsul wählen und war damit formal nur noch ein Senator unter vielen. Natürlich verzichtete er nicht wirklich auf Macht und Einfluss. Das imperium consulare maius, das er danach zugesprochen bekam, gab ihm eine übergeordnete Befugnis auch in den zehn Provinzen, die er nicht in direkter Verantwortung führte, die sogenannten senatorischen Provinzen. Hinzu bekam er die tribunica potestas mit allen Rechten der Volkstribune zugesprochen, also insbesondere das Initiativrecht auf Volksversammlungen und das Vetorecht gegenüber allen Beschlüssen des Magistrats, also der restlichen Amtsträger. Damit war er sakrosankt, also unangreifbar. Das Praktische für Augustus war, dass er über diese Rechte ohne zeitliche Befristung verfügte, also sowohl innen- als auch außenpolitisch in jeglicher Beziehung Herr des Geschehens war. Der Trick bei der Sache bestand darin, dass er sich nur die Rechte nahm, die formal dazugehörenden Ämter aber anderen überließ. So hatte er die Macht in den Händen, ohne anderen wehzutun, die sich ruhig im Glanz leerer Titel sonnen sollten. Diese Regelungen bündelten sich in dem Begriff der Prinzipatsverfassung, benannt nach einem der Titel des Augustus: princeps senatus, der Erste des Senats.
Auf dieser rechtlichen Basis, die auf der Grundlage der republikanischen Verfassung gestaltet war, fußte das römische Kaisertum der nächsten drei Jahrhunderte. Dass dabei der ursprüngliche Grundgedanke, über verschiedene Rollen ein System der gegenseitigen Kontrolle, von Checks and Balances zu etablieren, verloren ging, wenn alle diese Rollen in einer Person gebündelt wurden, darüber sah man hinweg. Oder musste hinwegsehen, weil Augustus eine solche oppositionelle Haltung schwerlich goutiert hätte. Dass er, wenn es um seinen Erfolg ging, kompromisslos und äußerst brutal sein konnte, hatte er hinlänglich bewiesen.
Der nachhaltige Erfolg dieses Konzepts des Prinzipats lag sicherlich in den Vorteilen begründet, die die Senatoren und die alten Familien der Nobilitas in dieser Lösung für sich sahen. Augustus ließ ihnen nicht nur ihren gesellschaftlichen Rang, wichtig für stolze und auf Außenwirkung bedachte Menschen, die es auch damals in hinreichender Zahl gegeben haben wird. In Italien selbst und in den senatorischen Provinzen konnten sie weiterhin auch Führungspositionen übernehmen und entscheiden, es gab die alten Titel wie Konsul, Ädil und Prätor weiterhin und das machte schon was her. Augustus hatte die Macht, er ließ den Senatoren aber Titel, Ansehen und Würde, ein kluger Unterschied zum Verhalten von Sulla oder Caesar. Zudem machte sich Augustus so den existierenden republikanischen Verwaltungsapparat zunutze, brauchte also nicht – strukturell und personell – in eine tiefgreifende Umgestaltung zu investieren.
Neben der formalen Absicherung tat Augustus auch viel für seinen Rückhalt im Volk. Kostenlose Getreideausgaben, Geldgeschenke, aufwendige Spiele mit Nashörnern und Schlangen, Opfergaben für die Götter sind das eine. Daneben kümmerte er sich um die Infrastruktur wie Straßen oder Wasserversorgung, baute Tempel und erweiterte das Forum Romanum, unter anderem mit einem Standbild von sich selbst in einem Triumphwagen. "It's hard to be humble, when you're as great as I am", wie Muhammad Ali es so schön beschrieb.
Prätorianer beschützen das Zelt
Augustus brach endgültig mit der Tradition, dass in Rom selbst keine Soldaten sein dürften. Insbesondere seine Leibgarde, die Prätorianer, waren immer um ihn. Wir wissen, dass dieser Traditionsbruch nur ein kleiner war, in den letzten Jahren hatte man viele Soldaten in der Hauptstadt gesehen, nicht immer nur friedlich.
Diese Leibgarde wird in der Geschichte des Römischen Kaiserreiches eine entscheidende Rolle spielen. Also lass uns kurz einen Blick auf sie werfen. Ihr Ursprung lag in der Angewohnheit der römischen Generäle im Feld, sich eine eigene Leibwache zusammenstellen, die das Feldherrenzelt, das praetorium, und seinen Bewohner zu schützen hatten. Augustus machte sich diese Idee zunutze, indem er eine Truppe von immerhin neun Kohorten in einer Größenordnung zwischen 500 und 1.000 Mann aufstellte, die ihn auch in Rom, bildlich gesprochen also im Feldherrenzelt des Kaisers, beschützen sollten. Da die Hauptstadt ja frei von Soldaten sein sollte, waren es eben Prätorianer und keine Legionäre, die diesen Dienst verrichteten. Also dann doch kein wirklicher Bruch mit den althergebrachten Regeln. Deren Firnis blieb und man konnte sein republikanisches Gewissen damit so wunderbar beruhigen. Sechs der neun Prätorianer-Kohorten waren zudem nicht in Rom, sondern in umliegenden Städten stationiert. Sie waren also schnell verfügbar, ohne dass sie den Römern bedrohlich erschienen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Die Prätorianergarde war somit eine direkt dem Kaiser unterstellte schnelle Eingreiftruppe und gerade in Rom mangels Konkurrenz ein wesentlicher Machtfaktor, der mitunter schwer und nur mit viel Geld zu bändigen war.
Auch in den Provinzen sorgte Augustus für Reformen und optimierte die Verwaltung. Die Veteranen bekamen Land zugewiesen, bis hin nach Nordafrika. Sie bildeten so in den einzelnen Provinzen ein stabilisierendes Element für Roms Herrschaft. Zu diesen Reformen gehörte auch, dass er unfähige, korrupte Statthalter abberief und den Einwohnern Mitsprache- und Einspruchsrechte gewährte. 12 v. Chr. nutzte er den Tod des obersten Priesters, sich um das Amt des Pontifex maximus zu bewerben. Es verwundert uns nur wenig, dass er gewählt wurde und das Volk diese Wahl bejubelte.
Augustus wird moralisch
Alles, was er tat, diente seinem Machterhalt, auch seine berühmten Sittengesetze. Jeder Mann zwischen 25 und 60 und jede Frau zwischen 20 und 50 musste verheiratet sein, starb ein Ehepartner, gab es nur kurze Fristen bis zur Pflicht der Wiederverheiratung. Ehebruch wurde sanktioniert und jeder Römer sollte zudem drei Kinder haben. Damit wollte er die Aufteilung großer Vermögen im Erbfall erreichen und einer sukzessiven Machtkonzentration durch Kumulation von Eigentum entgegenwirken.
Es ist nicht verwunderlich, dass diese Gesetze in einem großen Reich nur schwer durchsetzbar waren. Scheinehen wurden geschlossen, um dem Gesetz Genüge zu tun. Zudem war es für Augustus als Mann mit nur einer Tochter erstaunlich, ein Gesetz zu erlassen, das mindestens drei Kinder vorschrieb. Formal hätte er argumentieren können, dass er durch die 17 v. Chr. erfolgte Adoption seiner Enkel Gaius Caesar (20 v Chr. bis 4 n. Chr.) und Lucius Caesar (17 v. Chr. bis 2 n. Chr.) zusammen mit seiner Tochter ja drei Kinder habe. Gaius und Lucius waren Julias Kinder aus ihrer von Augustus arrangierten Ehe mit Marcus Vipsanius Agrippa. Beide hatten mit Vipsania Agrippina (14 v. Chr. bis 33 n. Chr.), die in den Geschichtsbüchern auch als „Agrippina, die Ältere“ auftaucht, Vipsania Julia Agrippina (19/18 v. Chr. bis 28 n. Chr.) und dem erst nach dem Tod seines Vaters geborenen Marcus Vipsanius Agrippa Postumus (12 v. Chr. bis 14 n. Chr.) drei weitere Kinder. Die Adoption von Gaius und Lucius können wir als Maßnahme innerhalb Augustus‘ Nachfolgeregelung interpretieren. Wir werden noch sehen, dass diese nicht aufging.
Julias Ehen
Wie auch immer, zu seiner Tochter hatte er nicht das entspannteste Verhältnis. Ihre Mutter Scribonia hatte er ja noch vor der Geburt der Tochter verstoßen. Julia musste denjenigen heiraten, den Augustus ausgesucht hatte: Zunächst mit 14 ihren Cousin Marcellus. Das war der, der dann als Ädil die Spiele verantworten durfte. Er starb allerdings bald, böse Zungen behaupten, er sei von Augustus' Frau Livia Drusilla vergiftet worden, die ihren Söhnen aus erster Ehe, Tiberius und Drusus, damit den Weg zur Nachfolge ebnen wollte. Das funktionierte dann auch irgendwie.
Den zweiten Ehemann bekam Julia dann als siebzehnjährige mit Augustus' General und Vertrauten Marcus Vipsanius Agrippa, der allerdings im Jahr 12 v. Chr. einer Krankheit erlag. Mit 27 war sie somit zweifache Witwe und sollte in dritter Ehe Augustus‘ Stiefsohn Tiberius Claudius Nero (42. v. Chr. bis 37 n. Chr., reg. 14 bis 37 n. Chr.) ehelichen. Dieser musste sich dafür allerdings erst von der Tochter seiner künftigen Frau scheiden lassen, die gerade sein zweites Kind erwartete. Nun ja, das ist jetzt vielleicht etwas missverständlich. Tiberius‘ Frau, Vipsania Agrippina (33 v. Chr. bis 20 n. Chr.), war die Tochter von Julias zweitem Ehemann Marcus Vipsanius Agrippa aus dessen erster Ehe. Vipsania war also Julias Stieftochter. Dass Julia zudem auch noch die Stiefschwester des von Augustus ja adoptierten Tiberius war, macht die Sache nicht einfacher. Zustände wie im alten Rom…
Mit den Namen sind wir jetzt kurz vor der totalen Verwirrung. Es geht aber weiter. Tiberius erste Frau war zwar älter als Augustus‘ gleichnamige Enkelin. Dennoch wird letztere als „Agrippina, die Ältere“ bezeichnet. Julia „Agrippina, die Jüngere“ (15/16 bis 59 n. Chr.) war deren Tochter, die wir später als Mutter Neros kennenlernen werden. Den Stammbaum muss man sich in Ruhe und mit hinreichend Rotwein zu Gemüte führen. Es wird in den nächsten Folgen nicht besser.
Julias Ende
Im Jahr 2 v. Chr. wird Julia des Ehebruchs angeklagt, wohl zu Recht. Einer ihrer Liebhaber soll der Sohn von Marcus Antonius gewesen sein. Augustus witterte Verrat – vielleicht sogar begründet – und verbannte seine Tochter auf die kleine Vulkaninsel Pandateria, heute Ventotene genannt und zwischen Rom und Neapel vor der Küste gelegen. Fünf Jahre später durfte sie aufs Festland übersiedeln. Die Ehe mit Tiberius wurde geschieden, Augustus enterbte sie und auch nach seinem Tod verweigerte Tiberius ihr jegliche Unterstützung. Sie verhungerte.
Wer wird Nachfolger?
Auch Julias Kinder sollten kein glückliches Leben haben. Lucius starb 2 n. Chr. auf dem Weg nach Spanien, Gaius 4 n. Chr. in Lykien nach einer Verwundung, die er sich bei der Belagerung der armenischen Stadt Artagira zugezogen hatte. Beide hatte Augustus als potentielle Nachfolger gesehen, die Heeresluft schnuppern sollten.
Er adoptierte dann Julias jüngsten Sohn, Agrippa Postumus, enterbte und verbannte ihn aber schon zwei Jahre später. Er soll einen seiner Mutter ähnlichen freizügigen Lebenswandel an den Tag gelegt haben. Nach Augustus‘ Tod ließ ihn Tiberius wohl ermorden, nur um sicher zu gehen, dass er ihm die Herrschaft nicht streitig machte.
Ebenfalls verbannt wurde Agrippa Postumus' Schwester, Vipsania Julia Agrippina, die jüngere der beiden Töchter Julias, ebenfalls wegen ihres Lebensstils. In der Verbannung heiratete sie Lucius Aemilius Paullus (29 v. Chr. bis 14 n. Chr.), einen Enkel von Augustus' Frau Scribonia. Alle ihre Nachkommen wurden von ihrer Nichte Julia Agrippina (15 bis 59), der späteren Mutter Neros ermordet. Allein die ältere Schwester, Vipsania Agrippina, also die Großmutter Neros, konnte sich durchsetzen. Augustus hielt große Stücke auf sie und verheiratete sie mit Nero Claudius Germanicus (15 v. Chr. bis 19 n. Chr.), einen Stiefsohn von Tiberius und damit in der »Thronfolge« kein unwichtiger Mann. Der spätere Kaiser Caligula (12 bis 41 n. Chr., reg. 37 bis 41 n. Chr,.) entsprang dieser Verbindung ebenso wie Neros Mutter.
Wir wollen es für dieses Mal bei diesen Familiengeschichten belassen und künftig lieber schauen, was in Rom und der weiteren Umgebung so geschah. Stoff für hinreichend Netflix-Serien hätten wir aber allemal. Richten wir unseren Blick lieber darauf, was in der Regierungszeit von Augustus politisch geschah. Das nächste Mal geht dann der Blick vornehmlich nach Germanien - wobei die Verwirrung durch Namensgleichheiten und -ähnlichkeiten sowie die unterschiedlichen Eheschließungen werden uns noch ein wenig begleiten. Also heißt es, rein rotweinmäßig vorzusorgen.