… zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging …
Bevor wir nun schauen, wie es mit Tiberius weiterging, müssen wir noch einen Blick nach Osten werfen. Ein gewisser Lukas (evtl. um 75 n. Chr.) hat uns eine Geschichte erzählt, die sich viele Christen jedes Jahr an Weihnachten vorlesen und -spielen lassen. Da lohnt es sich schon, einen Blick zu riskieren.
Lukas erzählt
Lukas' Geschichte von der Geburt Jesu Christi (zw. 7 und 4 v. Chr. bis zw. 30 und 33 n. Chr.) wurde einige Jahrzehnte nach dem eigentlichen Ereignis aufgeschrieben. Die Forscher sehen den Zeitraum zwischen 60 und 90 als wahrscheinlich an. Dabei war Lukas natürlich kein Geschichtsschreiber, ebenso wenig wie seine Kollegen, Markus (evtl. um 65 n. Chr.), Matthäus (evtl. um 85 v. Chr.) und Johannes (evtl. um 85 v. Chr.), die alle vermutlich, so sie denn überhaupt Einzelpersonen waren, ganz anders hießen. Die Namen sind zumindest bei Markus und Matthäus Zuschreibungen aus späterer Zeit. Außer Lukas hat sich aber keiner der Evangelisten mit der Geburtsgeschichte groß aufgehalten. Bei Matthäus finden wir zumindest eine Interpretation der unmittelbaren Zeit danach. Dies alles ist entstanden aus Überlieferungen, Zudichtungen und Referenzen auf Prophezeiungen »wovon Jesaja sagt« (fl. 740 bis 701/686 v. Chr.).
Ein Stern weist den Weg
Nun soll es drei Zeugen gegeben haben, Magier, Weise oder Könige aus dem Morgenland. Diese seien einem Stern gefolgt. Das war anscheinend nicht unüblich. Aus dem Jahr 66 wird beispielsweise von Astrologen berichtet, die mit dem armenischen König einem Stern folgend nach Neapel gezogen sind, um dem römischen Kaiser zu huldigen. Das war zu der Zeit schon zwölf Jahre lang Nero. Wir wissen aber nicht, wie lange diese Weisen für ihre Reise gebraucht haben, welche Inthronisation oder Geburt sie also auf den Weg geschickt hat. Wir hoffen für sie, dass der sie leitende Stern eher gemächlich seinen Weg gezogen hat. Die Astronomen haben bis heute keine eindeutige Erklärung, was es mit diesem Stern auf sich hatte. Ein Komet scheint eher unwahrscheinlich. Daneben sind noch eine Supernova oder eine Planetenkonstellation, insbesondere von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische in der Lostrommel, wobei letzteres wohl die wahrscheinlichere Variante zu sein scheint. Wir müssen es offen lassen.
Herodes in der Hölle?
Der Stern, der die Weisen aus dem Morgenland zu Jesu Geburt geführt hat, muss in den Jahren 6 bis 4 v. Chr. am Himmel zu sehen gewesen sein. Damals herrschte Herodes in Palästina, als Klientelkönig Roms. Wir haben beiläufig schon von ihm gehört. Sein Reich erstreckte sich im Wesentlichen auf dem Gebiet des heutigen Israel vom Toten Meer bis zum See Genezareth mit einem Ausläufer in den Süden des heutigen Syrien. Er war ein erfolgreicher Herrscher, der nicht zu Unrecht den Beinamen »der Große« bekommen hat. Auch seine Geschichte und seine Erfolge müssen wir leider im Dunkeln der Geschichte ruhen lassen. Aus der Bibel kennen wir ihn als Kindermörder, für einige Christen ist er neben Kain und Judas Ischariot (um 30 n. Chr.) der dritte der auf ewige Zeiten zu Höllenqualen verdammten Sünder, für die es keine Hoffnung auf Erlösung gibt. Die einzige Quelle für diesen Mordbefehl ist der Evangelist Matthäus, keiner seiner drei Kollegen und auch keine profane Quelle erzählen davon. Seien wir also gnädig.
Töten ließ sein Sohn und Nachfolger, Herodes Antipas (um 20 v. Chr. bis um 39 n. Chr., reg. 4 v. Chr. bis 39 n. Chr.), etwa im Jahr 28 auf jeden Fall einen gewissen Johannes. Diesen Anführer einer Sekte kennen wir als Johannes den Täufer (um 5 v. Chr. bis vor 36 n. Chr.). Den Beinamen bekam er, weil Jesus sich, so die Evangelisten, von ihm taufen ließ. Die Taufe symbolisierte die Vergebung von Sünden und die Bereitschaft des Getauften zur Umkehr angesichts des nahenden Reiches Gottes. Wir steigen jetzt nicht in die Diskussion ein, inwieweit sich ein Gottessohn vor diesem Hintergrund habe taufen lassen müssen. Zu diesem Zeitpunkt war Jesus auf jeden Fall bereits auf eigenen Pfaden unterwegs.
Jesus unterwegs
Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius habe Jesus mit seinem Predigerdasein begonnen, 30 Jahre alt soll er gewesen sein, berichtet Lukas. Das wäre das Jahr 29. Nazareth war seine Heimat und von dort aus begannen seine Wanderungen. Diese führten ihn bald nach Kapernaum an den See Genezareth, wobei er das ebenfalls am Seeufer gelegene Tiberias mied. Diese Stadt hatte Herodes Antipas neu gegründet, dort wohnten seine Anhänger, die es mit der Religion nicht so genau nahmen. Nicht das richtige Publikum für Jesus. Er suchte eher die arme Landbevölkerung auf, auch die, die ein wenig Dreck am Stecken hatten, vulgo Sünder.
Seine Familienbande pflegte er nicht. Seine Familie wären seine Jünger und seine Anhänger. Markus lässt ihn sagen »Denn wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter«. Markus erzählt in diesem Kapitel auch, dass Jesu Mutter und seine Geschwister ihn für verrückt erklärt und versucht hätten, ihn zur Vernunft zu bringen. Ein Glück, dass Maria (etwa 18 v. Chr. bis 33 n. Chr.) nicht in die Fänge der Inquisition kommen konnte.
Jesus vollzog in Folge Wunderheilungen und Dämonenaustreibungen. Zudem sind Geschichten überliefert, in denen er Naturgesetze überwindet, etwa die Speisung von 5.000 Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen oder die Beruhigung eines Seesturms. Solche Taten oder auch nur die geglaubten Berichte darüber weckten natürlich Neider. Bei den Anhängern verstärkten sie dagegen den Glauben an eine sehr nahe Gottesherrschaft, was die Loyalität zu den aktuell regierenden weltlichen Herrschern nicht unbedingt beförderte. Gerade für die Armen auf dem Land war die Botschaft eine Verheißung. Sie hatten nichts zu verlieren, das Versprechen auf eine neue Welt klang verlockend.
In Jerusalem
Im Jahr 30 zog Jesus nach Jerusalem. Hatte er bisher die Städte gemieden, zog er jetzt in die Höhle des Löwen, um am Passahfest teilzunehmen, das an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert. Sowohl Pontius Pilatus (amt. 26 bis 36 n. Chr.) als Statthalter des römischen Kaisers in der Provinz Judäa als auch die Hohepriester des Judentums hatten in Jerusalem ihren Sitz. Diese Priester hatten sich ein gewisses Maß an Eigenständigkeit erhalten können, so dass der römische Statthalter auf die Zusammenarbeit mit ihnen angewiesen war. Es ist nicht ganz klar, wie diese geregelt und ausgestaltet war. Auf der einen Seite wird wenig über Probleme berichtet, auf der anderen Seite gibt es – jüdische – Geschichtsschreiber, die Pontius Pilatus vorwerfen, die jüdischen Gesetze vorsätzlich missachtet zu haben. Er habe römische Truppen mit dem Bild des Tiberius auf ihren Feldzeichen nach Jerusalem einmarschieren lassen, Tempelgelder für den Bau einer Wasserleitung verwendet und am Palast des Herodes eine Widmung für Tiberius auf goldenen Schildern angebracht. Katastrophen klingen anders, aber religiös ausgerichtete Menschen mögen dies damals anders gesehen haben. Solche Charaktere gibt es ja auch heute noch, nicht nur im Judentum.
Vor Gericht
Wohl am 7. April 30 bekam Pontius Pilatus Jesus zu Gesicht, nachdem dieser von den Tempelwächtern aufgegriffen worden war. Er hatte sich aus Sicht der Priester frevelhaft benommen, soll auf dem Tempelberg gepredigt haben, habe Geldwechsler und Verkäufer von Opfertauben aus dem Tempel gejagt – und somit eine wesentliche Einnahmequelle der Priesterschaft angegriffen. Dass er bei seinem Einzug in die Stadt von vielen Menschen bejubelt, gar als Messias angesprochen worden war, machte ihn den Tempelpriestern nicht sympathischer. Das ging in ihren Augen wirklich zu weit, das konnten sie sich nicht bieten lassen, wenn sie denn weiterhin ihre machtvolle Position halten wollten. Jesus wurde vor dem Hohen Rat der Priester, dem Synhedrion, vernommen, die Anklagepunkte schienen sich zu bestätigen, so dass er dem Präfekten Pontius Pilatus überstellt wurde.
Das Ende
Das Verhör ist in der Bibel bei den vier Evangelisten unterschiedlich beschrieben. Von einem sehr schweigsamen Jesus bei Matthäus, Markus und Lukas, wo Jesus lediglich auf Pilatus Frage, ob er denn König der Juden sei mit "Du sagst es" antwortete, bis hin zu einem ausführlicheren Gespräch bei Johannes. Auch wenn Pilatus nach Lukas und Johannes keine Schuld Jesus erkennen konnte, wurde er verurteilt. Sich als König zu bezeichnen, erfüllte nach den Gesetzen des Reiches eigentlich den Tatbestand des Hochverrats. Wir erinnern diese Aversion der Römer. Die Behandlung weiterer Anklagepunkte wie Steuerhinterziehung oder Aufwiegelung erübrigte sich damit eigentlich. Dass Pilatus dennoch gerne auf eine Verurteilung verzichtet hätte, zeigt wohl seine Sorge vor möglichen Unruhen. Er hatte den großen Jubel bei Jesu Einzug nach Jerusalem sicher noch in Erinnerung.
Das Urteil lautete Kreuzigung und wurde auf dem Hügel Golgatha sofort vollstreckt. Pilatus habe wohl versucht, den Tod abzuwenden, habe sogar angeboten, so erzählt es Matthäus, ihn zu begnadigen, wobei sich die jüdische Volksmenge dann für den Aufrührer Barabbas (gest. zw. 30 und 33 n. Chr.) entschieden habe. Pilatus‘ Versuche scheiterten an der unbeugsamen Haltung der Hohepriester und der von diesen beeinflussten Menge. Hier konnte sich Pilatus keinen Stress leisten, er musste, auch wenn er von der Schwere der Schuld nicht überzeugt war, das Urteil sprechen. Dem Vorgang verdanken wir auch die Redewendung, dass man seine Hände in Unschuld wäscht: "Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an seinem Blut; seht ihr zu! Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!".
Jesus starb alleine. Von den Menschen, die ihm vor wenigen Tagen zugejubelt hatten, war nichts zu sehen.
Diese Geschichte kann man aus vielen Blickwinkeln erzählen, allein in der Bibel finden wir vier Varianten. Wir wollen es bei diesem Überblick belassen und uns nicht länger auf dem schmalen Grat zwischen Religion und Historie bewegen. Wir könnten jetzt noch streiten, ob Jesus von den Juden, wie häufig zur Rechtfertigung antisemitischer Umtriebe behauptet wurde, oder von den Römern getötet wurde. Letztere waren zumindest ausführendes Organ und hätten es mit ein wenig Courage verhindern können. Heute lebt der Papst in Rom. Wenn das kein Zeichen der Versöhnung ist…
Apropos Rom: Dort war ja gerade Tiberius Kaiser geworden, wir müssen sehen, wie es da weiterging.