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(91) Kelten, Germanen und Nerva

Bevor wir schauen, wie es nach der Ermordung Domitians im Römischen Reich weiterging, gestatten wir uns einen kleinen Einschub und blicken auf ein paar Völkerschaften, die uns und den Römern in letzter Zeit an deren Nordgrenze über den Weg gelaufen sind.

 

Die Kelten sind uns mit Brennus‘ Eroberungszug 387 v. Chr. und den Galatern in Kleinasien bereits seit längerem bekannt und die Kämpfe mit den germanischen Stämmen begleiten uns und die Römer ja bereits seit den Zeiten von Augustus. Vor Kurzem haben wir die Daker kennengelernt und von den Jazygen gehört. Zeit also, einen Blick auf die Gegner des Römischen Kaiserreiches an der Nordgrenze zu werfen.

 

Kelten

Keltische Sprachen finden wir heute noch in der Bretagne, in Cornwall, Wales, Schottland, an der Westküste Irlands und nicht zuletzt auf der Isle of Man. Im 3. Jahrhundert v. Chr. war das Keltische die in Europa am weitesten verbreitete Sprache, die keltische La-Tène-Kultur die dominierende. Sie hatte sich Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. aus der eher friedfertigen Hallstatt-Kultur entwickelt, deren aufwändige Fürstengräber beispielsweise in Hochdorf an der Enz uns heute noch beeindrucken. In der La-Tène-Zeit waren die Kelten deutlich kriegerischer und weiteten ihr Siedlungsgebiet nach Süden, also nach Norditalien und auf den Balkan, aus. Keltische Stämme lebten auf den Britischen Inseln, in Belgien und Frankreich bis hinein nach Norditalien, vereinzelt auch südlich der Pyrenäen in Spanien. Nach Osten finden wir sie im Saarland, Teilen von Rheinland-Pfalz und Hessen, weiter über Teile von Baden-Württemberg, die Schweiz und Bayern bis nach Ungarn und weiter im Süden östlich des Dinarischen Gebirges auf dem Balkan. Über die »Exklave« der Galater in Kleinasien haben wir schon gesprochen. Es ist bemerkenswert, wie lange sich dort die kulturelle Eigenständigkeit der keltischen Kultur hielt.

 

Im Norden gelang dies nicht. Ab etwa 200 v. Chr. wurde die keltische Kultur durch das Vorrücken germanischer Stämme immer weiter zurückgedrängt. Im römischen Einflussbereich, der durch Julius Caesar und Augustus ja deutlich nach Norden ausgeweitet worden war, nahmen die keltischen Stämme Stück für Stück römische Elemente auf, so dass sich in gewisser Weise eine eigenständige, sogenannte gallorömische (im Westen) beziehungsweise norisch-pannonische Kultur (im Osten) herausbildete. Auch diese konnten sich am langen Ende des Drucks der immer weiter vorrückenden Germanen nicht erwehren und gingen zunehmend in deren Kultur auf. Die norisch-pannonische Kultur verschwand im 5. Jahrhundert n. Chr. durch den Ansturm der Hunnen vollständig. Im Westen assimilierte die gallorömische zunehmend mit fränkischen Siedlern, die immer stärker die Führungspositionen in der dortigen Gesellschaft einnahmen. Dabei blieb die gallorömische oder verkürzt: romanische Volkssprache erhalten, während im Osten weiterhin das germanische Fränkisch dominierte. Mit dem Oberbegriff Franken wird ein Zusammenschluss mehrerer Kleinstämme bezeichnet, der sich im 3. Jahrhundert n. Chr. bildete. Wir sehen hier den Ursprung der Sprachgrenze, die heute noch im Unterschied zwischen dem romanischen Französisch und dem Deutschen oder Niederländischen erkennbar ist. In Belgien können sie ein Lied davon singen. Die keltische Kultur ging also sukzessive in die gallorömische und in Folge in die fränkische Kultur über, prägte diese Entwicklung dabei entscheidend mit.

 

Germanen

Der Begriff der Germanen umfasst eine Vielzahl von Stämmen, die ein riesiges Gebiet von Skandinavien bis nach Russland und die Ukraine abdecken. Wir können sechs große Gruppen unterscheiden.

 

Die (1) Nordgermanen sind die Ahnen der heutigen skandinavischen Völker der Dänen, Norweger, Schweden und Isländer. Im Süden von ihnen siedelten die Angeln und Jüten, die den Übergang zu den

(2) Nordseegermanen bildeten. Die Friesen leben in ihrer Unterscheidung in westliche, östliche und nördliche Exemplare noch heute zwischen den Niederlanden und Schleswig-Holstein. Nur die Südfriesen, die man in der heutigen Provinz Groningen verortete, nennen sich schon seit hunderten von Jahren nicht mehr so. Wir wissen nicht, was seinerzeit vorgefallen ist, vielleicht hat ihnen der Tee nicht mehr geschmeckt. In späterer Zeit bildete sich der Großstamm der Sachsen aus diesen Stämmen. Östlich davon siedelten die

(3) Elbgermanen, an der Unterelbe beispielsweise die Langobarden, an der Oberelbe die Markomannen. Von Marbod haben wir ja schon gehört. Noch weiter südlich, an der Donau nordöstlich von Wien, finden wir die Quaden. Auch am Neckar gab es mit den Sueben eine Exklave, am Main mit den Naristern ebenfalls. Auch die Alamannen sind elbgermanischen Ursprungs. Aus den Markomannen entwickelten sich durch Vermischung mit anderen Stämmen die Bajuwaren, die Hermunduren auf gleichem Weg zu den Thüringern. Ich würde dennoch davon abraten, dieses Wissen im bayerischen Bierzelt zu offensiv zu vertreten. Die Erkenntnis, als Abkömmling der Elbgermanen zu gelten, würde bei einem Bayern im Zweifel eine Identitätskrise auslösen, deren Bewältigung sein Umfeld massiv beeinträchtigen könnte. Südlich der Nordseegermanen und westlich der Elbgermanen siedelten die

(4) Rhein-Weser-Germanen. Dass die Cherusker des Arminius hierzu zählen, wundert uns nicht. Der Großteil dieser Stämme bildete später die Franken, wobei die eher östlich siedelnden Stämme wie eben die Cherusker sich eher den Sachsen anschlossen. Viel weiter östlich finden wir die

(5) Oder-Warthe-Germanen. Burgunder und Vandalen sind bekannte Vertreter. Den Weg in die Gegend des heutigen Burgund fanden die Burgunder Ende des dritten Jahrhunderts. Die letzte Stammesgruppe bilden die

(6) Weichselgermanen. Hier ist es nicht sicher, ob die an der Weichselmündung siedelnden Gotonen wirklich die Vorfahren der Goten sind, die den Römern später noch viel Ungemach bereiteten. Erst ab ihrem Kontakt mit den Römern lässt sich eine halbwegs verlässliche gotische Geschichte schreiben. Zu dieser Zeit, also zu Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr., siedelten sie an der Nordwestküste des Schwarzen Meeres.

 

Sarmaten und Daker

Im Jahr 238 überfielen der Goten gemeinsam mit den Karpen die römische Stadt Histria, südlich der Donaumündung gelegen. Bei den Karpen ist man sich nicht sicher, ob es sich um einen germanischen, einen sarmatischen oder einen dakischen Stamm gehandelt hat. Wenn wir auf die römische Geschichte schauen, wird immer von Angriffen der Daker oder der Sarmaten berichtet. Die Sarmaten, manchmal auch Sauromaten genannt, waren ein Zusammenschluss unterschiedlicher Stämme, unter ihnen beispielsweise die Jazygen. Auch die Alanen gehören dazu, die später während der Völkerwanderung mit den Vandalen nach Nordafrika zogen. Die Sarmaten waren keine Germanen, sondern iranischen Ursprungs, wohl den Skythen verwandt, die uns hie und da schon, insbesondere bei den Reichen Mesopotamiens und Persiens, begegnet sind. Sie siedelten nördlich des Schwarzen Meeres. Erste Nachweise stammen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Im Zuge der Integration in das Römische Reich und insbesondere der Völkerwanderung verlieren sich ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. die Spuren.

 

Südwestlich des sarmatischen Siedlungsgebietes im heutigen Rumänien hatten die Daker ihre Heimat. Auch sie waren ein ständiger Unruheherd für die Römer. Über ihren Ursprung wissen wir wenig. Das einzig Sichere ist wohl, dass sie nicht aus dem keltischen Kulturraum kamen. Sie sind mit den Thrakern verwandt, die wir aus der griechischen Geschichte ja auch ein wenig kennen. Im 1. Jahrhundert v. Chr. bildete sich unter einem König namens Burebista (gest. um 44 v. Chr., reg. 82 oder 61 bis 44 v. Chr.) ein vereintes Dakerreich, das seinen Einflussbereich nach Westen (Ungarn, Serbien) und Osten (Bulgarien, Moldawien) ausweiten konnte. Unter Trajan wurde Dacia dann eine römische Provinz, die jedoch im 3. Jahrhundert wieder aufgegeben werden musste.

 

Bei Trajan sind wir noch nicht ganz. Schauen wir also, dass wir weiterkommen.

 

Nerva, der ideale Kaiser: alt und kinderlos

Noch am Tage des Todes Domitians wurde Marcus Cocceius Nerva (30 bis 98, reg. 96 bis 98) vom Senat zum neuen römischen Kaiser ausgerufen. Für ihn sprachen im Wesentlichen zwei Dinge. Er war alt und hatte keine Kinder, damit also ein idealer Übergangskandidat. Zum anderen war er ein erfahrener Mann, der unter Nero, Vespasian und Domitian verschiedene Ämter bis hin zum Konsul eingenommen hatte. Dem Anschlag auf Domitian und seiner eigenen Erhebung zum Kaiser stimmte er wohl auch zu, weil es hieß, dass Domitian ihn bereits auf die schwarze Liste gesetzt habe.

 

Wir wollen uns mit Nerva aufgrund seiner kurzen Regierungszeit nicht lange aufhalten. Er hatte es nicht leicht, die Dinge im Zaum zu halten, da nach Domitians autokratischer Herrschaft viele die neuen Freiheiten ausnutzen wollten. Ein Sprichwort sagte, sei unter Domitian allen alles verboten gewesen, sei nun unter Nerva allen alles erlaubt.

 

Nerva erließ eine Amnestie und sorgte für Steuererleichterungen, die er in Teilen durch sein eigenes Vermögen finanzierte. Das würde heute schwerlich funktionieren, selbst wenn der Finanzminister den einen oder anderen Porsche verkaufte. Nervas größtes Problem war, dass es ihm nicht gelang, das Militär auf seine Seite zu ziehen. Die Prätorianer meuterten Mitte 97. Es ging um die Auslieferung von zwei Verschwörern, die am Tod Domitian beteiligt gewesen waren, Tiberius Claudius Parthenius (gest. 97) und Titus Petronius Secundus (um 40 bis 97). Nerva agierte unglücklich, indem er Casperius Aelianus (gest. 98), einen Vertrauten Domitians, als Prätorianerpräfekten im Amt ließ. Der ließ als Dank den Kaiser festsetzen, bis dieser die beiden Mörder auslieferte, die dann kurzerhand gemeuchelt wurden.

 

Eine gute Idee

In dieser Gemengelage drohte ein Bürgerkrieg, wie wir ihn 30 Jahre zuvor bereits im Vierkaiserjahr erlebt haben. Nerva erkannte dies und löste die Situation mit einem klugen Schachzug, der ihm einen ehrenden Platz in der Liste der römischen Kaiser sichert. Er adoptierte im September 97 mit Marcus Ulpius Trajanus (53 bis 117, reg. 98 bis 117), dem Statthalter von Germania inferior, einen fähigen Soldaten, der über hinreichend Legionen gebot, um die Einheit des Reiches zu sichern.

 

Im Januar 98 starb Nerva und Trajan, wie wir ihn nennen, konnte übernehmen. Es begann die Zeit der Adoptivkaiser. Nicht mehr dynastische Abfolgen zählten, sondern eine gewissermaßen freie Auswahl des besten Nachfolgers. Das Adoptionsprinzip war ja nicht neu. Schon Julius Caesar hat es mit Octavian erfolgreich angewendet, dieser dann mit Tiberius. Das alles fand jedoch immer im Rahmen der erweiterten, auch angeheirateten Familien statt, also durchaus mit dem Gedanken, die Macht in der Familie zu halten. Insofern ging Nerva hier schon einen deutlichen Schritt weiter.

 

Das nächste Mal erleben wir mit Trajan und Hadrian die Zeit der größten Ausdehnung des Römischen Reiches.