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(103) Valentinianische Dynastie: Grenzsicherung und Usurpationen

Valentinian I.

Ebenso wie Jovian wurde sein Nachfolger Flavius Valentinianus von Offizieren zum Kaiser bestimmt. Manche sprechen vom Beginn einer "Valentinianischen Dynastie", was bei insgesamt dreißig Jahren Regierungszeit allerdings etwas hochgestochen klingen mag. Dynastisch sorgte Valentinian I. immerhin insofern vor, als dass er bereits zu Beginn seiner Herrschaft seinen jüngeren Bruder Flavius Valens (328 bis 378, reg. 364 bis 378) zum junior augustus ernannte. Valens sollte sich um den östlichen Teil des Reiches kümmern. Illyrien und Griechenland behielt Valentinian bei sich im Westen. Diese Form der Arbeitsteilung war ja spätestens seit dem Tetrarchie-Konzept Diocletians üblich. Immer mehr blickt aber die wenig später folgende Reichsteilung durch den Vorhang der Geschichte, die kurz darauf nach dem Tod des letzten gesamtrömischen Kaisers Flavius Theodosius I. (347 bis 395, reg. 379 bis 395) im Jahr 395 auch Realität wurde.

 

Valentinian hatte im Westen genug damit zu tun, die seit dem Bürgerkrieg durch die Usurpation des Magnentius und dem damit verbundenen Truppenabzug offene Flanke der Rhein- und Donaugrenze wieder in den Griff zu bekommen. Zum einen befestigte er die Grenzen weiter, zum anderen agierte er offensiv. Mit unterschiedlichem Erfolg. Mal wurden Alamannen und Franken geschlagen, mal hatten die Alamannen Erfolg und eroberten Mainz. So geschehen im Jahr 367. Insgesamt beruhigte Valentinian die Lage  aber so weit, dass die Rheingrenze die nächsten 40 Jahre keine gravierenden Probleme mehr machte.

 

Auch in Britannien war er erfolgreich. Sein General Flavius Theodosius (gest. 376), der Vater des späteren Kaisers, konnte die Pikten und Skoten ruhigstellen. Dieser General muss eine wahre Stütze für Valentinian gewesen sein, denn nicht nur in Britannien war er erfolgreich. Er siegte zudem sowohl gegen die Alamannen als auch in Afrika, wo er 372 eine Rebellion niederschlagen konnte.

 

Etwas schwieriger verlief die Entwicklung an der mittleren Donau. Zwar konnten auch hier die Quaden und Sarmaten besiegt werden, dennoch musste der Limes Sarmatiae, also die Befestigungsanlagen im Gebiet östlich der Donau im heutigen Zentralungarn, aufgegeben werden. Bei den folgenden Friedensverhandlungen mit den Quaden starb Valentinian I. am 17. November 375, vermutlich an einem Schlaganfall. Ob die Aufregung über das anmaßende Verhalten der germanischen Unterhändler der Auslöser war, wie es die Legende erzählt, wissen wir natürlich nicht. Wir wollen aber gerne lernen, auch in kritischen Situationen und gegenüber unverschämten Menschen die Ruhe zu bewahren. "When they go low, we go high", hat eine First Lady der USA mal gesagt. Ein kluger Rat.

 

Valens

Mit dem Tod seines Bruders war Valens, der Regent des Ostreiches zum senior augustus und damit, zumindest formal, zum Herrscher des gesamten Imperiums aufgestiegen. Flavius Gratianus (359 bis 383, reg. 375 bis 383), der Sohn Valentinians I. war von diesem zwar schon 367 zum Mitkaiser ernannt worden. Er wurde als Junior Herrscher im Westen.

 

Valens hatte im Osten vor allem mit Procopius (um 326 bis 366) zu tun, einem römischen Adeligen, der sich 365 zum Gegenkaiser hatte ausrufen lassen. Das war dieses Mal keine so gute Idee. Sie endete im darauffolgenden Jahr in seiner Hinrichtung.

 

In den Folgejahren musste Valens gegen die Terwingen kämpfen, eine der beiden Hauptgruppen der Goten. Sie waren in gewisser Weise Vorläufer der späteren Westgoten und mussten sich in diesen Jahren der Hunnen erwehren, die sie immer weiter Richtung Westen drängten. Im Jahr 376 gewährte Valens ihnen Siedlungsrecht im Römischen Reich. Neben ihnen erhielten auch die Greutungen, der andere gotische Hauptstamm, in Moesien südlich der unteren Donau Land zugewiesen. Der Plan, sich auf diesem Wege das Gotenproblem vom Halse zu schaffen und zugleich auch ein Reservoir an Hilfstruppen zu bekommen, ging im Folgenden aber nicht so ganz auf.

 

Valens musste seinen Blick nicht nur Richtung Norden, sondern auch nach Osten richten. Dort wollte er eigentlich gegen die Perser ziehen, allein es kam nicht dazu. Das lag an den Goten, denen die lokalen römischen Kommandeure die zugesagte Lebensmittelversorgung verweigerten. Damit sank deutlich die Lust der Goten, mit Valens gegen die Sassaniden zu kämpfen. Noch 376 kam es zu einem Aufstand, den die Römer vor Ort nicht in den Griff bekamen. Valens musste seine Feldzugspläne aufgeben, beziehungsweise anpassen. Es ging 377 gegen die Goten und nicht gegen die Perser.

 

Um diesen Krieg konzentriert führen zu können, gebrauchte es allerdings Ruhe im Osten. Valens sah sich gezwungen, einen Friedensvertrag mit den Persern zu schließen, der ihn große Konzessionen an Land und Geld kostete. Zudem hatte er sich mit Gratian abgestimmt, dass dieser aus dem Westen zu ihm stoßen solle, um ihn im Kampf gegen die Goten zu unterstützen. Gratian ging es aber im Westen wie Valens im Osten. Bevor er in den Krieg zog, mussten die eigenen Hausaufgaben gemacht sein. Von den Germanen durfte keine akute Gefahr mehr drohen. Dem war aber leider nicht so. Am Oberlauf des Rheins gab es Angriffe der Lentienser, eines alamannischen Stammes, die im Februar 378 den zugefrorenen Fluss leicht überqueren konnten. Also entschied Gratian, dass er erst einmal in seinem eigentlichen Ressort für Ruhe und Ordnung sorgen müsse, bevor er seinem Onkel gegen die Goten helfen könne.

 

Für Valens war dies eine dramatische Entwicklung. Am 9. August 378 kam es zur Schlacht von Adrianopel, dem heutigen Edirne an der türkisch-griechischen Grenze, in der Valens den Terwingen unter ihrem Führer Fritigern (gest. um 382) unterlag und auch selbst den Tod fand. Ein wenig muss man ihm selbst die Schuld dafür geben. In dem Gefühl, den Barbaren überlegen zu sein, hatte er seine Truppen ohne ausreichend Wasser und Lebensmittel acht Stunden lang zur Wagenburg der Goten marschieren lassen, um dort festzustellen, dass es doch mehr Gegner waren, als gedacht. So stimmte er Fritigerns Angebot zu, lieber zu verhandeln, als zu kämpfen. Doch er hatte die Rechnung ohne seine Truppen gemacht. Die Kavallerie des rechten Flügels begann eigenmächtig einen Aufklärungsvorstoß, aus dem sich die gesamte Schlacht entwickelte. Die Niederlage der Römer wurde schließlich durch das Eingreifen der Greutungen besiegelt, deren Reiterei den bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreich angreifenden Legionären in den Rücken fiel. Manchmal hat Verwandtschaft dann doch seine Vorteile.

 

Ein weiteres Vorrücken der Goten in Richtung des nahen Konstantinopel verhinderte der Legende nach Valens‘ Witwe Albia Domnica (um 337 bis nach 378), der es gelungen sein soll, eine Bürgermiliz aufzustellen. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass eine Bürgermiliz ein Heer, dass gerade die römischen Legionen besiegt hatte, hätte aufhalten können. Fritigern und den Goten war es immer auf eine Verhandlungslösung angekommen, da sie für sich und ihr Volk eine langfristige Heimstatt suchten. Es war ihnen klar, dass eine solche Lösung letztlich nur im Einvernehmen mit den Römern zu erreichen war. Da wäre ein Angriff auf die Hauptstadt sicher nicht förderlich gewesen.

 

Gratian

Über Gratians Erfolge beim Kampf gegen die Germanen haben wir ja schon gesprochen. Er konnte die Alamannen weitgehend in Schach halten. Im Jahr 378 wurden die Lentienser in der Schlacht bei Argentovaria in der Nähe des heutigen Biesheim im Elsass vernichtend geschlagen. Der Preis für diesen Sieg waren beim Blick auf die gesamte Entwicklung die Niederlage und der Tod von Valens.

 

Die Klärung der Nachfolgeregelung lag nun bei Gratian. Dessen jüngerer Halbbruder Valentinian II. (371 bis 392, reg. 375 bis 392) war zwar schon 375 mit vier Jahren zum Kaiser ernannt worden, aber sicher nicht in der Lage, einen Reichsteil alleinverantwortlich zu regieren. So ernannte Gratian mit Flavius Theodosius einen fähigen und erfolgreichen General zum Herrscher im östlichen Reichsteil. Wir schauen ihn uns das nächste Mal an. Er sollte zum letzten Herrscher werden, der über das gesamte Römische Reich gebot. Es mag gut sein, dass Theodosius schon auf dem Weg einer Usurpation war, sich also eigenmächtig als Kaiser etablieren wollte. Diesem kam Gratian zuvor. Wir wollen es gerne seiner politischen Klugheit zuschreiben.

 

383 musste Gratian mal wieder eine Erhebung bekämpfen. In Britannien hatte sich der spanischstämmige Kommandeur der dortigen Truppen Magnus Maximus (um 335 bis 388, reg. 383 bis 388) von seinen Legionären zum Kaiser ausrufen lassen. Bei dem Namen überrascht uns das eigentlich nicht. Gratians Versuch, dieser Usurpation Herr zu werden, schlug fehl. Bevor es in der Nähe von Paris zur Schlacht kommen konnte, liefen seine Soldaten zu Maximus über. Gratian floh nach Lyon, wo er am 25. August 383 erschlagen wurde. Wir verabschieden uns von Gratian und erinnern uns immer an ihn, wenn wir nach Grenoble kommen, das ihm zu Ehren ursprünglich Gratianopolis hieß. Das spricht sich aber nicht nur auf Französisch sperrig, so dass wir die Lautverschiebung nur gutheißen können.

 

Theodosius

Der Ostkaiser Theodosius akzeptierte erst einmal mangels Alternative beziehungsweise Handlungsoptionen Magnus Maximus als Kollegen im Westen, wo allerdings auch der junge Valentinian II. mitspielen wollte. Er schien für Maximus eine leichte Beute zu sein. Im Jahr 387 zog er über die Alpen, Valentinian II. musste fliehen. Er begab sich in den Schutz seines Schwagers Theodosius. Dieser wollte dem ja unrechtmäßig an den Kaisertitel gekommenen Maximus eh an den Kragen. Das schaffte er im Sommer 388 in zwei Schlachten in Kroatien und Slowenien. Maximus wurde kurz darauf hingerichtet. Auch durch diesen Bürgerkrieg bekamen die Germanen wieder Oberwasser. Maximus musste für die Schlachten gegen seine Konkurrenten Legionen von der Grenze abziehen, was zu schweren Überfällen der Franken führte, die nur mühsam abgewehrt werden konnten.

 

Das nächste Mal erleben wir Theodosius als Alleinherrscher und die Aufteilung des Reiches auf seine beiden Söhne.