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(104) Theodosius und die Reichsteilung

Theodosius wird Kaiser

Das letzte Mal haben wir schon gelernt, dass Flavius Theodosius von Gratian zum Kaiser für den Ostteil des Reiches ernannt wurde. Nach dem Tod Valentinians I. hatte sich Theodosius, bis dahin ein erfolgreicher Militär, der beispielsweise 374 die Sarmaten hatte besiegen können, ins Privatleben zurückgezogen. Das lag wohl hauptsächlich daran, dass sein Vater im Zusammenhang mit einem Usurpationsversuch in Afrika, den er niederschlagen konnte, zu Unrecht des Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt worden war.

 

Nach der Schlacht von Adrianopel und dem Tode Valens‘ suchte Gratian dann dringend einen Kandidaten, dem er das schwierige Ostreich anvertrauen konnte. Er erinnerte sich an den fähigen Theodosius, der zudem auch noch mit Galla (374/375 bis 394), einer Tochter Valentinians I. verheiratet war und somit zur erweiterten Familie gehörte. Theodosius ließ sich in die Pflicht nehmen, konnte quasi als Eignungstest 378 die Sarmaten ein zweites Mal schlagen und wurde von Gratian am 19. Januar 379 zum augustus für den Ostteil des Reiches ernannt. Formal blieb Gratian senior augustus und auch der sehr junge Valentinian II. war dem neuernannten Kaiser qua Dienstjahren noch formal übergeordnet. Dies alles wird den selbstbewussten Theodosius wenig bekümmert haben.

 

Frieden mit den Goten

Sein vordringlichstes Problem war die Lösung der Gotenfrage. Nachdem es ihm in den folgenden Jahren nicht gelang, zu einer militärischen Lösung zu kommen, und er zwischenzeitlich zudem schwer erkrankte, schloss er am 3. Oktober 382 einen umfassenden Friedensvertrag. Er gab den Goten Siedlungsraum südlich der Donau. Im Gegenzug erwartete er Waffenhilfe. Das hatte bei Valens zwar nicht so gut geklappt, Theodosius hatte allerdings kaum eine Alternative. Durch die massiven Verluste, die die Römer in der Schlacht von Adrianopel erlitten hatten und die deutlich zu Lasten der römischen Wehrfähigkeit gingen, waren zusätzliche Krieger mehr als notwendig und sehr willkommen. In unseren Tagen nennt man das Fachkräftemangel. Wir diskutieren an dieser Stelle aber nicht die Vor- und Nachteile einer möglichen Lösung durch eine stärkere Migration. Goten gibt es heute ja auch kaum noch.

 

Diese bekamen seinerzeit zwar nicht das römische Bürgerrecht, durften allerdings im Heer immerhin als separate Einheiten unter gotischen Unterführern kämpfen. Wir kennen das von den Franken. Für die gotischen Führer war das Hauptziel, nach der Vertreibung durch die Hunnen eine neue Heimat zu bekommen, erreicht. Es wird sich allerdings zeigen, dass dieser Vertrag von 382 nicht wirklich lange hielt. Aber erst einmal hatte Theodosius an dieser Front Ruhe und sogar eine gestärkte Armee.

 

Wenn wir allerdings Machiavelli glauben, dann war dieser Vertrag von Übel. Suche "man nach der ersten Ursache für den Niedergang des Römischen Reiches …, so wird man finden, dass er einzig und allein mit der Anwerbung von Goten eingesetzt hat; denn von dieser Zeit an begannen die Kräfte des Römischen Reiches zu ermatten; und alle Tüchtigkeit, die ihm verlorenging, übertrug sich auf die Goten". Dies scheint uns dann doch ein wenig monokausal argumentiert. Wir werden aber noch sehen, was die Goten mit der so erworbenen Stärke anstellten.

 

Herrscher über das gesamte Reich

Auch mit den Persern schloss Theodosius 387 einen Friedensvertrag. Zwar gab er dabei den Anspruch auf vier Fünftel Armeniens auf, hatte jedoch mit dem Rom zugesprochenen Teil eine gute Sicherung der Ostgrenze erreicht. 388 konnte er dann, wie wir schon wissen, Magnus Maximus schlagen. Damit war er de facto Herrscher über das gesamte Römische Reich. Dennoch bestätigte er Valentinian II. in seiner Rolle als Augustus des Westreiches. Als Aufpasser stellte er ihm einen fränkischen General namens Arbogast (gest. 394) an die Seite. Ebenso wie die Waffenhilfe der Goten zeigt dies, dass der Einfluss von nicht-römischen Kräften im Militärwesen des Reiches immer weiter zunahm.

 

De jure war Valentinian aufgrund seines höheren »Dienstalters« sogar senior augustus, faktisch regierte Arbogast von Theodosius‘ Gnaden. 392 war der junge Kaiser 21 Jahre und sah keine Chance, wirklich zu herrschen. Am 15. Mai fand man ihn erhängt auf. Perspektivlosigkeit als Selbstmordgrund? Wahrscheinlich schon. Verdachtsmomente, dass Arbogast hinter diesem Tod stecken könnte, gab es natürlich. Allerdings spricht wenig dafür. Zumindest hatte er aufgrund dieser Entwicklung keine erkennbaren Vorteile und es wurde auch kein neuer Kaiser ausgerufen, was bei einer geplanten Tat wohl die schlüssige Konsequenz eines Mordes an Valentinian gewesen wäre. Für Arbogast selbst war diese Tür als nichtchristlicher Germane per se verschlossen.

 

Ein Grammtiklehrer als Kaiser?

So fragte man bei Theodosius, nunmehr auch offiziell senior augustus, an, wen er denn gerne an der Spitze des westlichen Reichsteil sähe. Logisch wäre die Ernennung eines seiner beiden Söhne, Arcadius (um 377 bis 408, reg. 395 bis 408) oder Honorius (384 bis 423, reg. 395 bis 423), gewesen, allein Theodosius zögerte. Arcadius war schon 383 mit sechs Jahren zum augustus erhoben worden, ohne allerdings irgendeine reale Verantwortung oder Herrschaft zugesprochen bekommen zu haben. Auf Arbogast konnte und wollte Theodosius nicht verzichten und das Schicksal von Valentinian II. wünschte er seinen Söhnen eher nicht.

 

Nach drei Monaten hatte Arbogast die Faxen dicke und sorgte selbst für einen Nachfolger. Flavius Eugenius (gest. 394, reg. 392 bis 394) sollte es sein, ein Grammatiklehrer und Hofbeamter. Als nicht dem Militär zugehörig war er damit keine Konkurrenz für die starke Stellung Arbogasts. Zudem war er zwar Christ, hatte aber auch gute Beziehungen in die nichtchristliche Gesellschaft. Am 22. August 392 wurde er zum Kaiser ausgerufen.

 

Theodosius verweigerte ihm die Anerkennung, ließ sich aber ein halbes Jahr Zeit, bis er im Januar 393 Honorius zum Kaiser für den Westen ernannte. Das reichte natürlich nicht, um Arbogast und Eugenius in ihre Schranken zu verweisen. Mit einem großen Heer zog er nach Westen. Am 5./6. September 394 wurden Eugenius und seine Truppen in der Schlacht am Frigidus im heutigen Slowenien an der Grenze zu Italien besiegt. Eugenius wurde gefangen und erschlagen, Arbogast beging Selbstmord. Zudem konnte Theodosius sein (oder eher Machiavellis) Gotenproblem etwas minimieren, da er sie in die erste Schlachtreihe stellte, wo die Überlebenswahrscheinlichkeit nicht die größte war. Von den 20.000 gotischen Kämpfern sollen die Hälfte den Tod gefunden haben.

 

Die Geschichte hatte auch eine religionspolitische Konnotation, da Eugenius zwar nicht antichristlich agierte, aber den Anhängern der heidnischen Götter wichtige Zugeständnisse, etwa die Rückgabe konfiszierter Tempelschätze machte. Theodosius galt dagegen als christlicher, ja katholischer Kaiser, was bedeutet, dass er insbesondere auch die arianische Lehre verurteilte. Als erster Kaiser hatte er den Titel des Pontifex maximus abgelehnt. 381 initiierte er das 2. Ökumenische Konzil in Konstantinopel, auf dem der Arianismus erneut verworfen und das bis heute gültige Große Glaubensbekenntnis formuliert und verabschiedet wurde.

 

Christen verfolgen

Aus der Regierungszeit Theodosius‘ stammen Berichte von Verfolgungen, bei denen die Christen nicht die Opfer, sondern Täter waren. So kam es 388 an der Grenze zu Persien in Callinicum, dem heutigen ar-Raqqa in Syrien zu einem von dem christlichen Bischof initiierten Judenprogrom, vielleicht als Reaktion auf Christenverfolgungen in Persien, an denen sich auch Juden beteiligt hatten. Theodosius wollte Ruhe im Reich und die Täter entsprechend bestraft sehen. Der Bischof von Mailand, Ambrosius (etwa 339 bis 397), der bereits Gratian und Valentinian II. beraten hatte, brachte ihn jedoch durch die Verweigerung der Kommunion davon ab. Er dürfe sich in diesem Konflikt nicht gegen die einzig wahre Religion wenden.

 

Nach der Niederwerfung von Eugenius und Arbogast war Theodosius der unumstrittene Herrscher des gesamten Römischen Reiches. Seine Söhne waren ihm eindeutig nachgeordnet, Arcadius im Osten und Honorius im Westen. Theodosius bemühte sich nun um eine Integration der unterschiedlichen Parteien. Den Anhängern Eugenius‘ reichte er die Hand, ebenso dem römischen Senat und auch denjenigen, die sich – von Eugenius Haltung angeregt – die Welt der heidnischen Götter zurückwünschten. Viel Zeit für eine wirkliche Aussöhnung blieb ihm allerdings nicht. Am 17. Januar 395 starb er sechs Tage nach seinem 47. Geburtstag eines natürlichen Todes. Wassersucht sagte man früher, Herzinsuffizienz heißt es heute.

 

Reichsteilung

Nach dem Tod von Theodosius I. standen nun seine Söhne an der Spitze des Reiches. Der etwa achtzehnjährige Arcadius war als senior augustus Herrscher im Ostteil, Honorius, immerhin auch bereits zehn Jahre alt, regierte den Westen. Beide waren auf die Unterstützung von Ratgebern angewiesen. Den Heermeister Flavius Stilicho (um 359 bis 408), der für Honorius im Westen die Geschäfte führte, werden wir noch näher kennenlernen. Die Grenze verlief leicht westlich des 20. Längengrades, ziemlich genau dort, wo vor langer Zeit auch die Machtbereiche von Octavian und Marcus Antonius aufeinanderstießen. Dakien, Thrakien, Griechenland, Kleinasien mit der östlichen und nördlichen Schwarzmeerküste, Syrien, Palästina, Ägypten und der Osten Libyens gehörten zum Ostreich. Das Westreich umfasste Britannien, Gallien, die iberische Halbinsel, den Westen Nordafrikas, Italien, die Alpenprovinzen und Illyrien. Das war ja eigentlich nichts Neues. Valerian und sein Sohn Gallienus hatten sich 140 Jahre zuvor so die Herrschaft aufgeteilt und in der Tetrarchie unter Diocletian war es nicht viel anders.

 

Reichsteilung?

Wie schon mehrfach herrschten zwei Kaiser über das Römische Reich. Warum sprechen wir, spricht die Geschichtsschreibung dieses Mal so dramatisch von einer wirklichen Reichsteilung? Diese Wortwahl erklärt sich nur aus der Rückschau. Hätte man Menschen im Jahr 395 irgendetwas von einer endgültigen Teilung des Römischen Reiches erzählt, hätten sie einen sicherlich ungläubig angeschaut. Und es war ja faktisch auch nicht so. Gesetze galten weitestgehend für beide Reichsteile, es gab ein römisches Bürgerrecht und bei Nachfolgeregelungen wollte der jeweils andere Herrscher durchaus ein Wörtchen mitreden. Das alles schloss Konflikte nicht aus, aber auch das war nichts, was man im Römischen Reich nicht seit langer Zeit kannte. Die Geschichte erzählt sich also aus der Rückblende nur so, weil es nach Theodosius I. keinem Kaiser mehr gelungen ist, für beide Reichsteile verantwortlich zu sein. Versuche hat es sicher gegeben, gelungen ist es keinem.

 

Gefahr aus der Steppe

Reichsteilung hin oder her: In Europa herrschte Rom, der einzige nennenswerte Konkurrent war weiterhin das Sassanidenreich im Osten. Seit geraumer Zeit dräute aber eine Gefahr im Nordosten. Seit vielen Jahrzehnten, ja Jahrhunderten war die Rhein- und vor allem die Donaugrenze ein Unruheherd. Die Völker, die Rom immer wieder ärgerten, kamen, um Beute zu machen, und ließen sich auch nicht durch Expeditionen in ihr Stammesgebiet nachhaltig befrieden. In den letzten Jahren war dabei der Druck durch die Expansion der Hunnen immer größer geworden, was die massive Invasion der Goten in das Römische Reich erklärt. Dennoch herrschte dort eine hohe Selbstbezogenheit, die immer wieder zu Usurpationen und Bürgerkriegen und der damit verbundenen Selbstschwächung führte. Wenn wir auf die Liste der 62 Kaiser schauen, die wir bisher kennengelernt haben, dann sehen wir, dass fast die Hälfte (30 Kaiser) ermordet wurde. Nur ein Drittel (20) starb eines natürlichen Todes, jeweils 5 fielen in einer Schlacht oder begingen Selbstmord. Nicht vergessen wollen wir die Abdankung Diocletians und seines Mitkaisers Maximian.

 

Da sich die Handlungsmacht insbesondere im Westen weg vom Römischen Reich verlagerte, werden wir diese zu Beginn gar nicht so dramatische Reichsteilung im weiteren Fortgang unserer Erzählung als Ausgangspunkt dafür nehmen, die Sichtweise, aus der wir auf die Geschichte blicken, ein wenig zu verändern. Nicht mehr das Römische Reich wird Ausgangspunkt der Gedanken sein, sondern zunächst die vielen umliegenden Völker, deren Entwicklung in diesen Jahrhunderten unter der Überschrift der „Völkerwanderung“ erzählt werden kann. Auf der anderen, östlichen Seite werden wir dann die Entwicklung vom Oströmischen zum Byzantinischen Reich und dessen Entwicklung bis zum Schlusspunkt im Jahr 1453 anschauen.

 

Das nächste Mal starten wir dann also mit der Völkerwanderung. Honorius und Arcadius werden uns dabei aber nicht verloren gehen, keine Sorge.