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(108) Das Ende der Hunnen

Attila hat Ziele

Attila hatte eingesehen, dass die bisherige Strategie der Hunnen, plündernd durch die Welt zu ziehen, an ihr Ende gekommen war. Auch wenn man den Römern immer größere Tribute abpressen konnte, war dieser Weg doch endlich - und anstrengend. Geschickter schien es, statt irgendwelcher Tribute gleich die Kontrolle über das gesamte Reich zu erlangen. Er hatte eine Reihe von Beispielen erlebt, wie man als Heermeister die eigentliche Regie führen kann. Als größtes Hindernis auf seinem Weg zu einer solchen Rolle als ein akzeptiertes Mitglied der Nomenklatura des Römischen Reiches sah Attila naturgemäß Aëtius an. Dieser verfügte über die militärische Macht im Westen und trotz aktueller Differenzen mit dem weströmischen Kaiser Valentinian III. (419 bis 455, reg. 425 bis 455) über den größten politischen Einfluss. Wäre dieser ausgeschaltet, könnte Attila diese Position einnehmen und sich als wahrer Herrscher etablieren, so wahrscheinlich der Gedanke.

 

Aëtius benötigt Hilfe

Aëtius agierte vorwiegend in Gallien, also zog Attila nach Gallien. Er käme als Beschützer Roms gegen die Westgoten, ließ er verlauten. Die Römer wollten sich allerdings gar nicht so gerne von den Hunnen beschützen lassen. Nachdem sich die Situation immer weiter zugespitzt hatte – wir ersparen uns die Einzelheiten – begann Aëtius spätestens im Herbst 450 zu rüsten. Das fiel ihm allerdings doch schwer. In dem auseinanderfallenden Reich, das in Italien aufgrund der ausbleibenden Getreidelieferungen durch die Vandalen aus Nordafrika auch noch hungerte, war es nicht mehr möglich, eine starke eigene Armee aufzustellen. Aëtius war auf die Unterstützung Dritter angewiesen. Diese zu organisieren, erforderte hohes diplomatisches Geschick. Ein Bündnis mit den Westgoten bot sich an, doch waren diese eher skeptisch, ob die Sache für sie auch vorteilhaft enden könnte.

 

Attila hatte es leichter. Auch er bereitete seinen Feldzug diplomatisch vor, konnte sogar fränkische Gruppen auf seine Seite ziehen. Wo genau er den Rhein überschritt, wissen wir nicht, vermutlich war es nördlich von Koblenz. Über Trier und Metz, das am 07. April fiel, ging es weiter. Auch Reims konnte erobert werden, Paris wurde umgangen. Ein Knackpunkt wurde Orléans, das unter Führung des Bischofs Anianus (gest. um 453) den Hunnen standhielt.

 

Theoderich hilft

Der insgesamt zügige Vorstoß von Attilas Truppen überzeugte nun auch den König der Westgoten Theoderich I. (390/393 bis 451, reg. 418 bis 451). Dieser hatte lange ein Bündnis mit Aëtius gescheut. In den vergangenen Jahren war es immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen, da die Westgoten gerne einen Zugang zum Mittelmeer gehabt hätten. Hier standen ihnen die Römer im Weg. Versuche, 425 Arelate (Arles) oder 436 Narbo Martius (Narbonne) einzunehmen, scheiterten.

 

Auch sonst hatte Theoderich wenig Freunde. Eine gewünschte Verbindung mit den Vandalen, die 429 nach Afrika gezogen waren, stand unter keinem guten Stern. Der mit dem dortigen König Hunerich (um 420 bis 484, reg. 477 bis 484) verlobten Tochter Theoderichs wurden Ohren und Nase abgeschnitten. So verstümmelt wurde sie dann nach Hause geschickt, vermutlich mit der Begründung, mit diesem Aussehen sei sie als Königin der Vandalen eher ungeeignet. Der Grund für dieses wenig charmante Vorgehen war, dass der Vandalenkönig vielmehr auf die aus seiner Sicht strategisch wertvollere Ehe mit Eudocia (439 bis zwischen 466 und 474) hoffte, der Tochter Valentinians III. Wir werden davon noch hören.

 

Die Erfolge Attilas bedrohten nun aber die errungene Selbständigkeit des Westgotenreiches. Die Verzögerung durch die Belagerung Orléans gab die Zeit, ein Bündnis mit den eigentlich verfeindeten Römern zu schließen, wobei des Theoderich sehr darauf ankam, hier nicht als untergeordneter Foederat zu agieren. Ein gemeinsames Projekt wurde sozusagen aufgesetzt, nämlich Attila zurückzuschlagen. Weitere Bündnisverpflichtungen ging man nicht ein.

 

An dieser Stelle müssen wir die Rolle des Bischofs von Orléans, Anianus, noch einmal herausheben, der über fast zwei Monate hinweg die Verteidigung der Stadt organisierte und die verzweifelten Bürger bei der Stange halten konnte. Zwischendurch fand er noch Zeit und Möglichkeit, nach Arelate zu reisen und Aëtius zu schnellem Handeln zu drängen. Auch wenn es den Hunnen schließlich gelang, Orléans zu erobern, waren die beiden Monate für den Ausgang des Krieges dennoch entscheidend. Aëtius konnte in dieser Zeit sein Bündnis mit den Westgoten schmieden und das vereinte Heer nach Norden führen. Die Hunnen mussten reagieren und Orléans entkam schließlich doch einer Plünderung.

 

Entscheidungsschlacht auf den Katalaunischen Feldern

Den Hunnen blieb hierfür einfach keine Zeit mehr, sie mussten sich jetzt zügig gegen die vereinte römisch-westgotische Armee formieren. Sollte Attila geplant haben, nacheinander gegen Römer und Westgoten vorzugehen, hatte er diese Chance vor Orléans vertan. Er konnte sich allenfalls noch aussuchen, an welchem Ort es zur Entscheidungsschlacht kommen solle. Die Katalaunischen Felder, benannt nach den dort siedelnden Katalaunen, sollten es sein. Wir wissen bis heute nicht genau, wo diese liegen. Irgendwo zwischen Châlons-en-Champagne und Troyes wird es gewesen sein. Fang am besten aber gar nicht an zu suchen, das haben schon viele erfolglos probiert.

 

Über die Schlacht selbst wissen wir relativ wenig. Sie soll am 20. Juni 451 gegen 15:00 Uhr begonnen und bis in die tiefe Nacht angedauert haben. Das Datum ist allerdings ein wenig strittig. Auch der 20. September wird genannt, was allerdings zu der Dauer der Belagerung von Orléans nicht ganz so gut passt. Insbesondere aufgrund der einsetzenden Dunkelheit herrschte auf beiden Seiten irgendwann ein hohes Maß an Verwirrung über den aktuellen Schlachtverlauf. Attila konnte in seine Wagenburg zurückgedrängt werden. Der westgotische König Theoderich soll ausgerechnet durch einen Ostgoten, die unter Valamir (um 420 bis um 465, reg. 447 bis 465) mit einem großen Kontingent auf Attilas Seite kämpften, erschlagen worden sein. Burgunder und Alanen finden wir auf der Seite Aëtius‘. Auch dieser hatte irgendwann die Orientierung verloren und fand sich – für ihn glücklicherweise – plötzlich im Lager der Westgoten wieder. Am nächsten Morgen sah Attila seine Truppen so geschwächt, dass ihm ein neuer Angriff aussichtslos erschien. Auch Aëtius hatte nicht mehr genug Truppen, um den Hunnen den endgültigen Todesstoß zu geben.

 

Militärisch war der Ausgang der Schlacht also eher ein Unentschieden. Politisch war aber Aëtius zweifellos der Sieger. Der Vormarsch der Hunnen in Gallien war gestoppt, Attilas Streben nach einer starken Position im weströmischen Reich hatte einen herben Dämpfer erhalten. Das hunnische Heer musste sich zurückziehen.

 

Die weströmische Koalition mit den Westgoten zerfiel dann erwartungsgemäß nahezu innerhalb eines Tages. Theoderichs Sohn Thorismund (um 420 bis 453, reg. 451 bis 453) wollte aufgrund des Todes seines Vaters schnell in seine Hauptstadt Tolosa (Toulouse) zurück, um dort seine Thronfolge zu sichern. Aëtius war damit im Grunde sehr einverstanden. Von seinen eigenen Truppen war wenig übriggeblieben, so dass sich eine Verfolgung Attilas wesentlich auf die westgotischen Einheiten hätte stützen müssen. Der daraus potentiell resultierende Machtzuwachs seiner Gegner der Vorjahre wäre ihm sicher nicht recht gewesen.

 

Ostrom rettet Italien

Attila hatte nach der Schlacht mehr Stress. Nicht allein, dass seine Pläne vorerst gescheitert waren, hunnische Krieger reagierten auf Niederlagen nicht entspannt. Er brauchte also Erfolge, Beute für seine Leute. Das war schwieriger geworden. Einen Versuch, erneut in Thrakien einzufallen, konnte Markian, der neue Kaiser im Osten, schlank abwehren. Nachdem er im Westen gescheitert war, im Norden wenig Beute lockte, der Südosten durch Markian gesperrt war, blieb der Süden, blieb Italien.

 

Im Frühsommer 425 überquerte Attila die julischen Alpen und griff das römische Kernland an. Ohne wirkliche Gegenwehr konnte er eine nach der anderen Stadt nehmen, selbst das sich lange tapfer verteidigende Aquileia fiel. Einige Störche waren aus der Stadt geflogen, anscheinend ein günstiges Vorzeichen, welches Attila klug zur Motivation seiner Leute nutzen konnte. Wenn man gute Geschichten erzählen kann, hilft jedes Detail. Ich wage es nicht, irgendwelche aktuellen Beispiele zu nennen.

 

Nachdem auch Mailand und schließlich Pavia erobert worden waren, zog sich das hunnische Heer zurück. Man könnte denken, die Kapazitäten, die bisher zusammengerafften Beutestücke weiter mitzuführen, seien erschöpft gewesen. Das war jedoch nicht der entscheidende Faktor. Zum einen war das schwüle und heiße Klima in der Poebene mit ihren Sümpfen eher ungesund. Seuchen wie Malaria breiteten sich unter Attilas Soldaten aus. Zum anderen war die Idee eines gesamthaften Römischen Reiches immer noch am Leben. Ostrom half. Markian schickte ein Heer. Aëtius, der bisher in Gallien saß und mangels einer hinreichenden Truppenstärke hilflos auf das Geschehen in Norditalien schauen musste, konnte dieses übernehmen und Attila zurückdrängen. Am Fluss Mincio – zwischen Gardasee und Po gelegen – traf eine römische Delegation auf die Hunnen und verhandelte deren Abzug. Letztlich war also auch diese Unternehmung Attilas gescheitert, auch wenn er wenigstens etwas Beute machen und so seine Leute für eine gewisse Zeit hatte befriedigen können.

 

Ein Papst als Retter?

Auf zwei Dinge wollen wir in diesem Zusammenhang noch hinweisen. Auch wenn Markian hier Valentinian III. entscheidend zur Hilfe kam, war das Verhältnis zwischen Ravenna und Konstantinopel kein entspanntes. Valentinian hatte lange gezögert, Markian als Kaiser und Nachfolger seines Cousins Theodosius II. anzuerkennen. Gerade noch rechtzeitig geschah dies dann am 30. März 452.

 

Der andere interessante Punkt betrifft die Teilnahme Leos I. (um 400 bis 461, amt. 440 bis 461) an der römischen Gesandtschaft am Mincio. Es war eines der ersten Male, dass ein Papst aktiv in die Weltpolitik eingriff. In der späteren kirchlich geprägten Rezeption wurde er zum Retter stilisiert, dessen Verhandlungsgeschick der Abzug der Hunnen zu verdanken war. Auch wenn er nicht den entscheidenden Part bei den Verhandlungen gespielt haben wird, ist das Signal, das seine Teilnahme aussendet, doch, dass die Päpste immer mehr von der verfallenden Macht des weströmischen Kaisertums auf ihre Herrschaft zu übertragen suchten.

 

Attila hatte nun ein Problem. Das nähere Umfeld der ungarischen Tiefebene, in das er sich wieder hatte zurückziehen müssen, war in den letzten Jahren so weit ausgeplündert worden, dass es dort nichts mehr zu holen gab. Zudem saß in Konstantinopel mit Markian mittlerweile ein Kaiser auf dem Thron, der die Tributzahlungen verweigerte und sich nicht scheute, auch militärisch gegen hunnische Überfälle vorzugehen. Die Feldzüge im Westen waren beide gescheitert. Damit war auch der Gedanke, sich in die Herrschaftsstruktur Westroms hineinzudrängen, ausgeträumt.

 

Tod durch Kriemhild?

Lange musste sich Attila nicht mit dem Problem beschäftigen, wie er seine beutegierigen Krieger angesichts dieser prekären Situation bei der Stange halten könne. Schon im folgenden Jahr starb er. Man fand ihn tot am Morgen seiner Hochzeitsnacht mit Ildico (um 450), die er als eine seiner Nebenfrauen geheiratet hatte. Ein Blutsturz soll zu seinem Ende geführt haben. Ob Ildico wirklich eine burgundische Prinzessin war und die Heirat ein politischer Akt, die Treue seiner Bundesgenossen zu vertiefen, wissen wir nicht. Zu dem zunehmend dynastischen Denken Attilas würde es allerdings passen. In der Nibelungensage lebt Ildico als Kriemhild weiter.

 

Ardarich macht Schluss

Der Hunnensturm hatte sich ausgelebt, nach Attilas Tod zerfiel das Reich der Hunnen binnen eines Jahres. Das wundert uns nicht, ein richtiges Reich war es ja nie gewesen, Strukturen, die es hätten am Leben halten können, gab es nicht. So hing alles an der Person des Herrschers. Die Söhne Attilas, Ellac (gest. 454, reg. 453 bis 454), Ernak (um 450, reg. nach 454) und Dengizich (gest. 469, reg. 454 bis 469), hatten nicht das Format, sämtliche Einheiten und Gruppen zusammenzuhalten. Jeder arbeitete künftig auf eigene Rechnung, was die Sache für die umliegenden Völker deutlich vereinfachte. Man kämpfte nicht mehr gegen die gesamte Kriegerschar der Hunnen, sondern gegen deutlich kleinere Verbände.

 

Der Streit der Söhne führte als Erstes dazu, dass sich mit dem Ardarich (um 450) einer der Heerführer und Vertrauten Attilas erhob. Er bündelte seine Gepiden, einen ostgermanischen Stamm, vielleicht mit den Goten verwandt, mit unzufriedenen Einheiten aus dem hunnischen Heer, beispielsweise den Rugiern, Skiren oder Herulern. 454 konnte er in einer entscheidenden Schlacht am Nedao, einem Fluss, er bisher nicht genau lokalisiert werden konnte, vermutlich ein Nebenfluss der Save, die Hunnen vernichtend schlagen.

 

Attila hatte schon richtig erkannt, dass das Reich der Hunnen einer stärkeren staatlichen Struktur bedurfte, um nicht allein vom Können und Charisma eines einzelnen Führers abzuhängen. Er lebte letztlich zu kurz, um diesen Gedanken in politisches Tun umsetzen zu können. Seine Versuche, dieses Ziel durch eine stärkere Integration in das Weströmische Reich zu erlangen, waren gescheitert. So zerfiel das Reich der Hunnen in kürzester Zeit. Die einzelnen Truppenteile, die die Schlacht am Nedao überlebt hatten, suchten bei angrenzenden Völkern Schutz, viele im Römischen Reich. Wir finden in Folge einige hunnische Truppenteile insbesondere im oströmischen Heer. Natürlich gab es auch Versuche einzelner, das alte hunnische Erfolgsrezept das plündernden Umherziehens wieder aufzunehmen. Dengizich probierte dies eine Zeit lang ganz erfolgreich, wurde jedoch Ende 468 / Anfang 469 endgültig besiegt. In den folgenden Jahrzehnten finden wir hunnische Gruppierungen immer wieder, meist in den Regionen nördlich des Schwarzen Meeres. Das von Ardarich im ehemaligen hunnischen Kerngebiet errichtete Gepidenreich existierte nur kurz, die Ostgoten waren stärker.

 

Die Hunnen waren über einige Jahrzehnte eine essentielle Bedrohung des Weströmischen Reiches gewesen. Letztlich gelang es nur mit Hilfe der Westgoten, dieser Herr zu werden. Schauen wir also, wie es aus Sicht der Römer zu dieser negativen Entwicklung kommen konnte.